Die Puppenspieler
rührte sich ein winziger Fetzen namenloser Furcht, die seine Kindheit und auch das Feuer überlebt hatte, die Furcht, die ein Kind vor dem unbekannten Dunkeln empfindet. Er wies sie ärgerlich zurück. Schwarze Messe, das war nur eine weitere Variante jenes gefährlichen abergläubischen Unsinns, und wenn er sich einer Sache sicher sein konnte, dann der Gewißheit, daß es einem Haufen gutgläubiger Narren bestimmt nicht gelingen würde, den Teufel zu beschwören.
»Das würde ich tun«, sagte er daher fest.
Das Mädchen wandte sich ab, fast, als sei sie enttäuscht, und ging wieder zu ihrem Putzlumpen. Über die Schulter warf sie ihm zu: »Dann seid nächsten Sonntag um Mitternacht bei der Porta alla Croce!«
22
D AS G EWÖLBE , IN DEM SIE sich befanden, mußte klaftertief unter Florenz liegen. Richard fuhr mit den Fingern über die Wand. Er vermutete, daß es sich um eine der unterirdischen Kellergrotten handelte, in denen Wein oder auch Nahrungsmittel kühl gelagert wurden. Paradoxerweise erinnerte ihn die Umgebung und die Menschen, die sich hier zusammendrängten, an das, was er über die ersten Christen in ihren römischen Katakomben gehört hatte, und er gab einen Laut von sich, der einem unterdrückten Gelächter ähnelte.
Die heiße, trockene Hand des Mädchens packte die seine. »Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe!« sagte sie mit gesenkter Stimme. »Ich gehe jetzt zu meinen Freunden, und denk daran, keinen Ton über mich, wenn sie dich erwischen, bevor du einer von uns wirst.« Richard nickte unmerklich.
Sie hatte ihm an der Porta alla Croce in aller Hast ein paar Anweisungen gegeben, die Losung genannt und ihn hineingeschleust. Er wußte nicht genau, was er erwartet hatte, wahrscheinlich einen Hexensabbat direkt aus dem ›Malleus Maleficarum‹, der in den deutschen Landen so populär geworden war.
Statt dessen versammelten sich hier nach und nach Männer und Frauen, die in keiner Weise aufreizend gekleidet waren und nicht anders als am hellichten Tage herumliefen. Reiche, prunkvoll bestickte Kleider schimmerten hier und da aus den Umhängen hervor, andere trugen geflickte und ärmliche Sachen. Jeder strahlte eine gewisse Unruhe aus, und in Wellen verbreitete sich aufgeregtes Raunen, als warteten sie alle auf etwas und wagten nicht, laut miteinander zu reden.
Richard fiel auf, daß in seiner Nähe zwei Gestalten standen, die im Gegensatz zu den meisten anderen Masken trugen. Ihre Gesichter waren vollständig verborgen. Sie sprachen nicht, starrten aber ebenfalls erwartungsvoll auf die Mitte des Raumes, wo ein Steinquader wahrscheinlich eine Art Altar darstellen sollte.
Das spärliche Fackellicht erlosch plötzlich. In der völligen Dunkelheit sah man ein weißes, wie körperloses Gesicht auftauchen, das von zwei neuen brennenden Fackeln gerahmt wurde und sich langsam dem ›Altar‹ näherte. Richard zuckte die Achseln. Sehr eindrucksvoll, aber kaum magisch. Neben jeder der jetzt erloschenen Fackeln war jemand postiert gewesen und was das Gesicht ohne Körper anging, derartiges hatten die Schüler des Klosters in Wandlingen ebenfalls fertiggebracht. Schwarze Kleidung und sehr viel Kalk, mehr brauchte man nicht.
Die übrigen Anwesenden jedoch hatten hörbar den Atem angehalten, als sich die Dunkelheit über den Raum gesenkt hatte und begannen jetzt leise zu singen. Richard, den Anweisungen Laurettas folgend, schloß sich ihnen an. Da es sich immer um dieselben beiden Zeilen handelte, fiel ihm das nicht weiter schwer.
»Asmodeus, erhöre uns. Belial, erscheine uns. Asmodeus, erhöre uns. Belial, erscheine uns. Asmodeus …«
Das Gesicht verschwand mit einem Mal und statt seiner zeigte das wenige Licht, welches die beiden Fackeln warfen, eine langsam aufsteigende Rauchwolke über dem Altar. Eine Stimme hallte in dem Gewölbe wider.
»Trinkt mein Blut! Eßt mein Fleisch!«
Die Gemeinde änderte ihren Gesang und wiederholte die letzten Worte. »Trinkt! Eßt! Trinkt mein Blut!« Richard spürte eine Bewegung an seinem Ellenbogen. Sein Nachbar drückte ihm etwas in die Hände, was er nur mühsam umfassen konnte und das zweifellos ein riesiger Pokal war – den Geräuschen nach zu schließen, nicht der einzige, der hier die Runde machte.
Richard nippte vorsichtig an der Flüssigkeit. Eine seltsame Mischung, salzig und bitter zugleich. Er schmeckte Alkohol, irgendwelche Kräuter oder Gewürze und zu seinem Abscheu tatsächlich auch Blut. Er mußte sich beherrschen, um sich nicht zu verraten,
Weitere Kostenlose Bücher