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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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mit einem Schlag sein Exemplar von ›De Animalibus‹ zu. Das Buch stammte von Albertus Magnus, einem Mann, der gewiß alles andere als ein bedingungslos gläubiger Anhänger der Kirche gewesen war, und zählte zu Richards kostbarsten Besitztümern, aber in seiner jetzigen Stimmung hätte er es beinahe gegen die Wand geschleudert. Auch der große Albertus hatte nicht die geringsten Zweifel daran, daß es Hexen gab, daß sie mit Hilfe von Dämonen in der Lage waren, ihre Gestalt und die anderer zu verwandeln.
    Woher kam diese Gewißheit, diese absolute Gewißheit? Und dann waren die Christen wahrhaftig nicht die einzigen, die an Hexen glaubten; die Griechen, die Römer, die Araber, die Juden – er hatte noch nie von einem Volk gelesen, das die Existenz von Zauberern bezweifelte. Und was sollte er dieser universellen Gewißheit entgegensetzen – seine eigene Überzeugung, an der ständig ein kleiner, aber hartnäckiger Zweifel nagte, auch wenn er ihn sich nicht eingestehen wollte?
    Im Fondaco hatte sich inzwischen alles zur Ruhe gelegt, nur Richard konnte nicht schlafen. Er versuchte, sich durch den Brief an Jakob über die Calimala abzulenken, kam aber nicht über den Anfang hinaus, denn der Heilige, den er sich zur Verschlüsselung wählte, Nummer neun, war Thomas von Aquin. Auch dieser große Philosoph, der es fertiggebracht hatte, die Werke des Aristoteles neu für das Christentum zu entdecken, hatte nie den geringsten Zweifel daran gehabt, daß es Hexen gab. Warum auch. Thomas von Aquin war Dominikaner gewesen.
    Richard bemerkte, daß er auf das Blatt, das vor ihm lag, immer 2-9-1, 1-9-2 kritzelte (den Aquinaten, wie der Heilige auch genannt wurde, ehrte die Kirche am 28. Januar, und Richard addierte bei seinen Antworten immer einen Tag dazu), und an seine Begegnung mit Heinrich Institoris dachte, statt zu schreiben. Die endlosen Zahlenfolgen schienen seine Unfähigkeit, sich zu konzentrieren, zu verspotten. Schließlich zerriß er das Blatt in so kleine Fetzen, daß auch der geduldigste Neugierige es nicht mehr hätte zusammenfügen können. Dieser methodische Zerstörungsakt beruhigte ihn etwas. Er atmete tief durch und stand auf. Er würde das Mädchen zum Sprechen bringen.
    Lauretta war noch damit beschäftigt, die Spuren des Festmahls zu beseitigen. Sie kniete auf dem Fußboden und schrubbte mit vor Müdigkeit allmählich taub werdenden Händen, als es leise an der Tür klopfte. Zuerst achtete sie nicht darauf – um diese Zeit gab es immer wieder Betrunkene, die ihr Haus nicht fanden –, doch als das Klopfen lauter wurde, stand sie auf, um zu öffnen. Sie wollte nicht, daß er noch einmal wach wurde und sich nach dem unerwünschten Eindringling mit ihr befaßte. Mit Betrunkenen wurde sie gut allein fertig.
    Ihr Rücken schmerzte, sie war müde und erschöpft und wollte den Störenfried durch einen Redestrom möglichst schnell vertreiben. Doch als sie die Tür einen Spalt geöffnet hatte, erstarben ihr die Worte auf den Lippen. Bevor sie wieder schließen konnte, hatte Richard seinen Fuß auf die Schwelle gesetzt, und ehe sie es sich versah, stand er vor ihr und schloß hinter sich sachte die Tür. Ihre Lebensgeister kehrten wieder zurück.
    »Was fällt Euch ein? Wollt Ihr unbedingt, daß er mich rauswirft? Aber vorher hetze ich die Hunde auf Euch, das kann ich Euch sagen!«
    »Lauretta«, unterbrach sie Richard, »haben wir uns nicht gegenseitig bewiesen, daß wir uns trauen können? Ich werde bestimmt niemanden anzeigen, glaub mir, das könnte ich gar nicht, weil ich sonst doch selbst in Verdacht käme. Und ich brauche einen Zauber«, schloß er beschwörend, »ich brauche einen echten Zauber mehr als alles andere auf der Welt!«
    Er ignorierte die Stimme des schlechten Gewissens.
    »Bitte«, begann er wieder, als sie einige Minuten lang immer noch nichts gesagt hatte und brauchte kaum mehr zu heucheln, um seiner Stimme etwas Gehetztes zu verleihen, »ich zahle, was du willst, ich schwöre auch, was du willst, aber nimm mich mit!«
    Endlich rührte sich etwas in dem Mädchen. Sie löste ihre Augen von seinem Gesicht, starrte auf den Boden, schluckte und trat dann so nahe heran, daß Richard trotz des spärlichen Lichtes, welches die letzten beiden Kerzen verbreiteten, genau die dunklen Ringe um ihre Augen erkennen konnte, die aufgeplatzte Oberlippe, die stark hervortretenden Wangenknochen.
    »Würdet Ihr an der schwarzen Messe teilnehmen?« wisperte sie. »Würdet Ihr das?«
    Irgendwo in Richard

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