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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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und reichte den Pokal der nächsten Gestalt weiter, die sich aus der Dunkelheit herausschälte. Aufatmend lehnte er sich gegen die Wand und sah erneut auf die Rauchwolke über dem Steinaltar. Sie schien dichter zu werden, immer dichter und dichter.
    Richard kniff die Augen zusammen. Änderte sich wirklich die Farbe des Rauches oder lag es an dem Licht der beiden Fackeln, das unmerklich stärker und lodernder geworden war? Der Gesang wurde schneller und alle begannen, rhythmisch in die Hände zu schlagen. Diesmal wäre es für ihn gar nicht nötig gewesen, sich an irgendwelche Anweisungen zu erinnern. Irgend etwas, der Rhythmus, der Gesang, riß ihn fort, und er hörte seinen eigenen keuchenden Atem, als das weiße Gesicht zum zweiten Mal aus dem Nichts auftauchte und mit sich überschlagender Stimme schrie: »Seht ihn! Schaut das Wunder! Belial weilt unter uns!«
    Die Rauchwolke explodierte mit einem Knall und für einen Moment sah Richard eine riesige rote Gestalt über dem Altar schweben. Die Gemeinde fiel erschauernd auf die Knie, und in der plötzlichen Stille vernahm er ein deutliches, scharfes Flüstern in seiner Nähe: »Warum muß ich das alles über mich ergehen lassen? Können wir es nicht auch so be…«
    Der Unbekannte hatte offensichtlich bemerkt, daß er zu laut war oder war zum Schweigen gebracht worden, doch Richard holte diese kurze Unterbrechung wieder in die kühle, gesicherte Welt der Vernunft zurück.
    In dem Getränk, das vorhin wie zur heiligen Kommunion herumgereicht worden war, befand sich offensichtlich eine Droge, die empfänglich für Sinnestäuschungen machen sollte und geschickte Beleuchtung tat ein übriges. Über dem Altar schwebte nunmehr nur noch das geschlechtslose, weiße Gesicht und Richard bezweifelte, daß die rote Gestalt je außerhalb seiner erhitzten Einbildungskraft dort gewesen war. Und, noch wichtiger, inmitten gläubiger Anhänger dieser Jahrmarktsgaukeleien, für die man nicht mehr Hexenkraft brauchte als zum Jonglieren, gab es offensichtlich noch jemanden, der das alles durchschaute.
    Aber wer? Warum war er – denn es hatte sich um eine männliche Stimme gehandelt – hier? Und was wollte er?
    »Neigt euch, meine Kinder!« psalmodierte das Etwas, das offensichtlich als Hohepriester diente. »Belial hat uns geehrt, Belial war unter uns.«
    »Ruhm sei Belial!«
    »Tretet vor und nennt mir nun eure Wünsche. Verbunden sind wir durch das Blut Belials, und wer einen der unseren verrät, den wird Belials Rache ereilen.«
    Richard bemühte sich vergeblich, nicht von der Woge vordrängender Menschen erfaßt zu werden. Er konnte nicht alle Wünsche verstehen, aber nach einer Weile klangen sie alle gleich.
    »Mein Nachbar soll seine Klage vor der Gilde zurückziehen …«
    »Meine Tochter soll den reichen Rucellai zum Gemahl bekommen.«
    »Ich will, daß die Geliebte meines Gemahls sämtliche Zähne verliert und kahlköpfig wird.«
    Nach jeder Bitte intonierte der Hohepriester: »Gib Belial, und Belial wird dir geben.«
    Dem Klang nach zu urteilen, folgerte Richard zynisch, verlangte Belial für seine Wohltaten einen hohen Preis – in schweren Münzen. Er überlegte, ob er den ganzen Unsinn jetzt unterbrechen und die Betrügereien offenlegen sollte. Aber dann bestand die Möglichkeit, daß die Verantwortlichen in der Dunkelheit entkamen und so nur neue Belial-Legenden ins Leben riefen. Oder die berauschte Gemeinde könnte sich entschließen, den plötzlich auftretenden Ketzer niederzumachen. Erneut stemmte er sich gegen die Menge, die ihn mittlerweile fast bis zum Altar mitgezogen hatte. Vielleicht sollte er das nächste Mal mit ein paar Fackeln bewaffnet und …
    »Ich begehre von Belial den Tod für meinen Feind.«
    Zwei volle Börsen landeten auf dem Altar. Richard gab dem Andrang der hinter ihm Stehenden nach und versuchte, sich dem Stein noch etwas zu nähern. Es war die Stimme von vorhin!
    »Wer ist dein Feind, und warum begehrst du seinen Tod?«
    »Vendetta. Ich muß ihn tot sehen!« Ein kurzes Zögern. »Seinen Namen kann ich nicht nennen, nicht hier.«
    »Es gibt keine Geheimnisse vor Belial«, forderte der weißgesichtige Hohepriester streng, »enthülle also den Namen deines Feindes und dein eigenes Gesicht. Kein Begehren wird jenen erfüllt, die sich nicht als Kinder Belials zu erkennen geben.«
    Richard war inzwischen mit einiger Mühe so weit gekommen, daß er die Gestalt des Bittstellers erkennen konnte, nicht jedoch sein Gesicht, denn der Unbekannte hatte ihm

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