Die Puppenspieler
die genaue Zeit erkennen zu können. Beruhigt stellte er fest, daß er noch genügend Freiraum hatte, um sowohl das Mädchen im ›Lachenden Bacchus‹ aufzusuchen und über ihr Schicksal zu beruhigen, als auch rechtzeitig an dem mit Mario verabredeten Treffpunkt zu sein.
Vor beidem empfand Richard ein gewisses Unbehagen, das sich noch verstärkte, als er die Via Calimala entlangging. Er konnte sich denken, was Fra Mario als Gegenleistung von ihm haben wollte, und was Lauretta anging, so konnte er sich ebenfalls lebhaft vorstellen, was sie dazu sagte, wenn er ihr erzählte, daß ihr Belial-Kult der Obrigkeit bekannt war. Aber schließlich hatte sich für sie dadurch alles zum Besten gewendet, ohne Zauber, und als er schließlich die Schenke betrat, war er fest davon überzeugt, das Mädchen versöhnen zu können.
Es wunderte ihn allerdings, daß er sie nicht sofort sah, denn bei seinen bisherigen Besuchen hatte Richard nicht den Eindruck gewonnen, daß der Wirt seiner Magd viele freie Stunden gönnte. Den Wirt allerdings fand er augenblicklich und sah, wie sich das feiste Gesicht in ein diensteifriges Lächeln faltete, als er sich näherte.
»Verzeiht, aber könnt Ihr mir sagen, wo ich Lauretta finde?« erkundigte sich Richard mit distanzierter Höflichkeit. Schlagartig verschwand das Lächeln.
»Lauretta? Die kleine Schlampe hat sich umgebracht«, sagte der Wirt ärgerlich. »Hat heute nachmittag mit einer von diesen merkwürdigen Gestalten getuschelt, die sie hier manchmal besuchen, und kam dann heulend zu mir, schwatzte etwas davon, daß sie ihren Lohn haben wollte, weil sie die Stadt verlassen müsse. Ist das zu fassen? Und wie ich sage, nein, und wenn du mir davonläufst, zeig ich dich bei der Signoria an, rennt sie weg, und mein Nichtsnutz von einem Sohn findet sie zwei Stunden später auf dem Dachboden. Hat sich erhängt. Bei allen Heiligen, ich hab sie immer wie meine Tochter behandelt, und sie bringt sich um, gerade jetzt, wo hier ein Zunftfest nach dem anderen stattfindet. Undankbare Schlampe. Und es hat sich schon rumgesprochen. Schaut Euch das an. So wenig Gäste waren noch nie da!«
Während der Wirt sprach, sich immer mehr ereiferte, bis auch andere Gäste aufmerksam wurden, spürte Richard in sich das immer stärker werdende Bedürfnis zu schreien, auf den Mann vor ihm einzuschlagen, den sich immer rascher bewegenden Mund zu stopfen. Aber er tat nichts dergleichen. Dazu kannte er den wahren Schuldigen nur zu genau. Schließlich wandte er sich ruckartig ab und verließ mit steifen Schritten den Raum, als sei er aus Holz, und er wünschte, er wäre es, wünschte es sich wie nichts anderes sonst.
»Ich habe sie umgebracht«, sagte Richard zu Fra Mario Volterra, der auf die Erfüllung eines Versprechens wartete, »so sicher, als ob ich ihr selbst den Strick um den Hals gelegt hätte. Wenn ich schon am Morgen zu ihr gegangen wäre oder gleich noch in derselben Nacht, nachdem ich mit Lorenzo gesprochen hatte …«
Sie standen auf der alten Bergfeste über dem Arno, wo man sehen konnte, wie der Fluß mit einem Arm die Innenstadt umschlang. Die rötlichen Dächer der Stadt glichen im Mondlicht zahlreichen kleinen Stufen, die zum Duomo und seinem Campanile hinführten. Der schlanke, goldglänzende Turm der Signoria ragte wie der Mast eines Schiffes aus dem Häusermeer empor, und zu einem anderen Zeitpunkt wäre es Richard wohl in den Sinn gekommen, daß man den Duomo mit seiner riesigen Kuppel auch als den behäbigen Bug dieses Schiffes sehen konnte. Doch so unterstrich die Schönheit, auf die er schaute, nur die Ungeheuerlichkeit des Geschehenen.
»Ja«, sagte Mario. »Ich könnte Euch jetzt trösten und behaupten, daß es ihr eigener Entschluß und der Wille Gottes war, aber das wäre eine Lüge. Mit dieser Last müßt Ihr fertig werden. Ihr habt sie getötet, zusammen mit ihrem Aberglauben und ihrer Furcht und ihrem ganzen gequälten Leben, aus dem sie keinen Ausweg mehr sah. Doch ich trage selbst ein Stück an dieser Schuld, denn schließlich hattet Ihr mir von ihr erzählt, und ich hätte wissen müssen, daß diese Gefahr bestand.«
»Aber Ihr versteht nicht«, sagte Richard tonlos. »Das war nicht das erste Mal, daß … Ich habe schon einmal jemandem den Tod gebracht.«
Er starrte auf die Türme, welche die weiß schimmernde Stadtmauer immer wieder unterbrachen wie die ringförmigen Glieder einer Kette. Fünf der acht Türme ließen sich von hier aus erkennen, fünf Türme für die fünf Jahre
Weitere Kostenlose Bücher