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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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waren im Mondlicht tiefschwarz, wie tiefe, bodenlose Schächte, und sein ganzer Körper war angespannt wie der einer Katze, die zum Sprung ansetzen will. Seine Hände öffneten und schlossen sich wieder.
    »Verdammt sollt Ihr sein, ja«, stieß Richard hervor. »Ich habe ihr nicht geholfen. Nichts, was ich tat, hat ihr auch nur im entferntesten genützt. Und ohne mich wäre Bruder Ludwig nie zu ihr gekommen.«
    »Und wenn Ihr jetzt genügend Hexen rettet, indem Ihr den Gegenbeweis antretet, macht Ihr diese Schuld wieder gut, Hexe für Hexe, Stück für Stück?«
    »Ja.«
    »Und wenn Ihr den Glauben an Hexen erst aus der Welt verbannt habt, hat Bruder Heinrich das verloren, was ihm die meiste Freude bereitete – was viel qualvoller ist, als zu sterben, schnell und auf einen Schlag. Eure Mutter ist sehr langsam gestorben. Ihr Inquisitor soll ebenfalls lange leiden.«
    »Ja.«
    Der Wind trug den seltsamen Duft von Pinien und Stechginster mit sich. Die alte Bergfeste wurde schon lange nicht mehr bewohnt, und die Bäume, die in ihrem Hof wuchsen, streckten ihre Arme aus wie Schatten, die ans Tageslicht wollen.
    »Ihr seht viel zu gut und viel zuviel«, sagte Richard nach einer Weile ausdruckslos, »lernt man das als Priester im Noviziat?«
    Das Gesicht des Mönchs verzog sich. »Man lernt es durch Beobachtung. Aber, Riccardo, denkt Ihr denn, wenn Ihr einem Teufelskult nach dem anderen nachlauft, einer Hexe nach der anderen, könnt Ihr Euer Ziel erreichen? Bestenfalls könnt Ihr, wie diesmal, sagen, daß es nur mechanische Kniffe waren. Doch was sagt das über den Rest aus? Und schlechtestenfalls trefft Ihr auf etwas, das Ihr nicht mehr durchschaut – und was dann?«
    Richard lehnte sich gegen die Brustwehr. Der rauhe Stein fühlte sich warm, fast vertraut unter seiner Handfläche an. »Mario«, fragte er und betonte jedes einzelne Wort, »glaubt Ihr an Hexen?«
    Zum ersten Mal am heutigen Abend spürte er, wie sein Gegenüber in die schwächere Position geriet. Der Priester zögerte mit der Antwort, wandte sich wieder ab und erwiderte leise: »Ich weiß es nicht. Ich halte die Art, wie Hexenprozesse heute geführt werden, für ganz und gar unrechtmäßig, und ich sehe in Euren Belial-Anbetern nicht mehr Teuflisches als in jedem leichtgläubigen Menschen, der sich auch zu Bösem mißbrauchen läßt. Aber Hexen im allgemeinen … Ich weiß es wahrhaftig nicht, Gott helfe mir.«
    »Welche Methode würdet Ihr also für mich vorschlagen?«
    »Studiert die Prozesse. Weist nach, wie und mit welchen Mitteln sie Unschuldige auf die Scheiterhaufen bringen, und schreibt darüber. Bücher vermögen viel, seht Euch nur den ›Malleus Maleficarum‹ Eures alten Bekannten Institoris an. Studiert meinethalben auch alle Schriften über Schwarze Magie, um dort Fehler nachzuweisen, ich besorge sie Euch. Aber verschwendet Euer Leben nicht damit, nach den Hexen selbst zu suchen.«
    Wieder kam ein Windstoß, und Richard spürte plötzlich die ersten Regentropfen. »Ist das meine Buße, Padre?« fragte er nicht ohne Ironie.
    »Warum nicht? Ihr sehnt Euch doch nach Absolution, nach Vergebung für Eure Schuld. Übrigens, Riccardo, wie wäre es, wenn wir das ständige ›Ihr‹ und ›Euch‹ fallenlassen? Bei Tedeschi mag das üblich sein, für einen Florentiner ist es auf die Dauer sehr beschwerlich.«
    Mario beobachtete, wie Richard zögerte, und streckte seine Hand aus. Einen Augenblick später ergriff Richard sie und hielt sie fest. » Sicuro «, entgegnete er, mit einem Mal befreit von allem Mißtrauen, »gerne, Mario.«
    Aus dem tröpfelnden Regen wurde ein ausgewachsener Sturm. Wassermassen peitschten vom Himmel, und beide rannten, so schnell sie konnten. Richard glitt einmal aus, doch bemerkte es kaum. Durch den Regen zu laufen, auf Florenz zu, nachdem er endlich einmal ausgesprochen hatte, was sich durch Jahre hinweg in ihm angesammelt hatte, schien ihn frei zu machen, völlig frei, für kurze Zeit lang sogar frei von dem Tod, der sich erst heute ereignet hatte.

23
    S ELBSTMÖRDER , SO ERFUHR Richard, wurden wie Mörder in die Massengräber jenseits der Stadtmauern geworfen, unweit der Porta Romana auf dem dafür vorgesehenen ungeweihten Teil des Cimitero degli Allori, falls sie nicht einflußreiche Verwandte hatten, die dafür bezahlten, daß ihr Tod als Unfall dargestellt wurde. Richard hätte sein Gehalt dafür verwendet und zum Teufel mit den monatlichen Abrechnungen, aber weder der Wirt noch die Stadtwache, die um der Ordnung

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