Die Puppenspieler
seines Lebens, die vergangen waren, seit in Wandlingen ein Scheiterhaufen gebrannt hatte, bis er hier wieder ein neues Schließen des Kreises erlebte, in dem er gefangen war.
»Warum ausgerechnet dort?« hatte Richard gefragt, als Mario ihm den Treffpunkt nannte, und der Augustiner hatte geantwortet: »Wenn Ihr es nicht über Euch bringt, Eure Geschichte einem Menschen zu erzählen, dann könnt Ihr sie dort der Stadt erzählen, Riccardo.«
Mit monotoner Stimme begann er jetzt zu sprechen, den Blick starr auf die Stadt gerichtet. Bilder quälten sich aus ihm hervor, die er für immer sicher in seinem Innersten bewahrt geglaubt hatte: der Inquisitor, Bruder Ludwig, der schwitzend vor der Tür ihres Hauses stand, Bruder Albert und der Abt und die maßlose Enttäuschung, der Haß, den beide in ihm wachgerufen hatten, und endlich der lange Gang seiner Mutter zum Scheiterhaufen, seiner Mutter, die von der Folter so zugerichtet worden war, daß er sie unter hundert anderen Gefangenen noch nicht einmal erkannt hätte.
Er sprach auch von Augsburg, von Sybille und ihrer selbstverständlichen, liebevollen Art, von Jakob und der seltsamen Faszination, die von ihm ausging, und zu Richards eigener Überraschung sprach er auch von dem Fiasko mit Barbara und der aufreizenden Versuchung, die sie für ihn dargestellt hatte.
»Aber warum habt Ihr ihr nie nachgegeben, Riccardo?«
»Weil ich … weil sie … weil es falsch war. Weil sie eine Frau war. Es mag Euch vielleicht wie eine Lüge vorkommen, aber ich habe es bis jetzt noch nicht fertiggebracht, bei einer Frau zu liegen.«
»Statt dessen sucht Ihr nach Hexen.«
Richard krallte sich an der Festungsmauer fest, und seine Knöchel wurden weiß. »Das hat überhaupt nichts miteinander zu tun. Und im übrigen suche ich nicht nach Hexen. Ich habe es Euch doch erklärt, ich will beweisen, daß es keine gibt.«
Mario sah ihm nicht in die Augen. »Habt Ihr Euch eigentlich je gefragt, warum? Ich meine, wollt Ihr die Unschuld Eurer Mutter beweisen?«
»Nein«, entgegnete Richard heftig. »Ich weiß, daß sie unschuldig war. Sie wurde aus drei Gründen verbrannt: der Lüsternheit eines Mönchs wegen, weil ein Inquisitor unbedingt Blut sehen wollte und dafür sorgte, daß der Prozeß noch nicht einmal im entferntesten gerecht ablief, und weil niemand da war, um ihr zu helfen. Nicht, nachdem die Mönche erkannten, daß ihr eigenes Leben in Gefahr sein würde. Und ich wette, so ist es auch bei all den anderen Prozessen, die Bruder Heinrich von den domini canes durchführt.«
Mario streifte seine Kapuze ab und hob sein Gesicht dem Mond entgegen. »Was wollt Ihr dann beweisen, wenn Ihr doch überzeugt seid, daß die Prozesse nicht rechtsgültig sind?«
»Die Prozesse sind nur ein äußeres Zeichen, wie ein Geschwür, das die Krankheit verrät. Der Glaube an Hexen ist es, der erschüttert werden muß.«
Richard wies auf die schlafende Stadt. »Das«, sagte er, »ist ein Ort voller Wissen, voller Glanz, vielleicht der beste Ort der Welt, um dort zu leben. Aber was würde geschehen, wenn Ihr oder ich uns unter den Campanile stellen und schreien würden, es gebe keine Hexen? Ein öffentlicher Aufruhr wäre noch das mindeste. Und selbst hier, in dieser Stadt voller Gelehrter, in dieser Stadt, die sich so weit von Rom entfernt hat, finden sich Menschen, die sich sogar Hexerei wünschen. Ihr habt diese schwarze Messe nicht gesehen, aber ich. Das muß ein Ende haben, Mario. Die Hexenverbrennungen und die schwarzen Messen, beides.«
Er sprach mit einer glühenden Eindringlichkeit, und es fiel ihm nicht auf, daß er den Priester zum ersten Mal nur mit seinem Taufnamen angesprochen hatte. Mario bemerkte es, doch er sagte nichts dazu. Beide schwiegen. Ein leichter Wind kam auf, der die drückende Hitze, die sich auch in der Nacht noch über die Erde legte, ein wenig zersetzte. Endlich antwortete der Augustiner: »Ich verstehe Euer Ziel, Riccardo, aber ich glaube, Ihr irrt Euch in Eurer Argumentation und Euren Methoden. Oder vielleicht sollte ich es anders ausdrücken. Ihr habt eben nicht alle Eure Gründe genannt.«
»Und welchen weiteren Grund sollte ich noch haben?« fragte Richard langsam.
»Habt Ihr nie daran gedacht, Euch an Heinrich Institoris zu rächen? Und nicht nur die Mönche haben Eurer Mutter damals nicht mehr geholfen, als es gefährlich wurde. Auch Ihr habt ihr nicht geholfen, genausowenig wie dem Mädchen Lauretta.«
Mario drehte sich um und sah Richard direkt an. Richards Augen
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