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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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willen die Todesursache zu klären gehabt hatte, wären auf die Idee verfallen, die Leiche nicht sofort freizugeben. Angehörige hatte Lauretta anscheinend nicht gehabt, und daß ihre Freunde sich dieser Tage nicht um ihr Schicksal kümmern konnten, wußte Richard nur allzu gut.
    Er suchte und fand den Friedhof, doch die Mönche des dortigen Kartäuserklosters, in deren Verantwortung der Cimitero degli Allori lag, konnten ihm nicht sagen, in welches Grab man Lauretta geworfen hatte. Richard stand lange vor den tiefen, breit ausgeschaufelten Gruben, wo die Leichen in Säcke verschnürt übereinander lagen, unkenntlich, von einer dünnen Schicht Erde bedeckt, um dem Brauch Genüge zu tun.
    Irgendwo dort unten lag sie, das Mädchen, das ihm genügend vertraut hatte, um die Inquisition zu riskieren. Er hatte ihr Vertrauen mißbraucht, und sie war deswegen gestorben. Richard hatte seit dem Tod seiner Mutter über Jahre hinweg immer nur Glück gehabt – selbst das Fiasko mit Barbara hatte sich zum Guten gewendet –, so daß er noch immer nicht ganz begreifen konnte, daß seine persönliche Besessenheit diesmal jemanden das Leben gekostet hatte.
    Er konnte Lauretta nicht mehr lebendig machen, doch er schwor sich, von nun an jenen Weg zu gehen, den Mario ihm gewiesen hatte – die Unrechtmäßigkeit der Prozesse nachzuweisen. Auf diese Weise würde er Leben retten können, nicht gefährden, und vielleicht würde das die Erinnerung an sein Versagen dem Mädchen gegenüber irgendwann mildern. Richard kniete nieder, um etwas von der roten toskanischen Erde in die Hände zu nehmen, und als er sich auf den Weg zurück in die Stadt machte, wurde sie schnell warm in seiner Hand, eine Last und eine Hilfe zugleich.
    Der Mordanschlag auf Lorenzo und die Festnahme von ein paar ›Verschwörern‹ mit ominösem Hintergrund schlug zwar heftige Wellen in Florenz, doch mit der Zeit beruhigten sich die Gemüter wieder. Richard, ›den jungen Tedesco, der Lorenzo das Leben gerettet hat‹, einzuladen, war eine Zeitlang in Mode, doch obwohl man sich einig war über Richards Vorzüge als geistreicher Gast, konnte man auch aus ihm nichts Näheres über die Verschwörung herausbringen. Für Richard allerdings waren diese Einladungen ein unerschöpflicher Quell an Informationen. Nie zuvor hatte er mehr Klatsch über Menschen, Politik, Mode und die alltäglichen Eitelkeiten gehört; jedes nur erdenkliche Thema wurde ausgiebig besprochen, und seine Berichte an Jakob wurden immer häufiger und ausführlicher.
    Vittorio de'Pazzi gelang es offensichtlich, aus Florenz zu entkommen, denn das nächste, was man von ihm hörte, war ein öffentlicher Auftritt in Rom im dortigen Palazzo der Riario. Er sprang bei einem Gelage stockbetrunken auf den Tisch und schwor, nicht zum ersten Mal, ›den Medici und allen ihren Handlangern‹ fürchterliche Rache.
    »Ich würde an deiner Stelle vermeiden, nach Rom zu gehen«, sagte Mario eines Tages zu Richard, als er davon hörte, »die Pazzi vergessen nichts und niemanden, und ich möchte wetten, daß Vittorio jetzt deinen Namen kennt.«
    ›Die Zeit macht einen Bogen um Rom, doch durch Florenz reitet sie schneller als der Wind‹, lautet ein toskanisches Sprichwort. Für Richard waren die folgenden Monate angefüllt mit Vorlesungen, Disputen und der Arbeit im Fondaco. Er schickte seine verschlüsselten Nachrichten nach Augsburg und durchstöberte die Bibliotheken nach Werken über Architektur, Straßenbau, Bergbau, Mathematik, Waffenkunde und, wenn er die Zeit dazu fand, die Geschichte der Zauberei und Hexenprozesse. Da er in Eberdings Auftrag bald auch Reisen in andere italienische Städte wie Pisa und Bologna machte, blieb er in seinen Nachforschungen nicht auf Florenz beschränkt. Allmählich begannen sich bei ihm die Notizen für ein Buch zu sammeln, das die Ursprünge des Hexenglaubens bis zum heutigen Tag umfassen sollte. Eine große Hilfe für ihn war seine immer enger werdende Freundschaft mit Mario. Dabei verliefen die Diskussionen zwischen den beiden durchaus nicht immer harmonisch.
    »Warum, zum Teufel, kann ich die These, daß es keine Hexen gibt, daß die Prozesse bis jetzt nichts als unter der Folter erzwungene Geständnisse erbracht haben und keine einzigen gültigen Beweise, nicht gleich an den Anfang stellen?« fragte Richard einmal ungeduldig.
    »Weil man ein Pferd nicht vom Schwanz her aufzäumt, darum«, gab Mario ebenso heftig zurück. »So ein Buch muß man mit grundsätzlichen Erwägungen

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