Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
Duomo eher kleine Kirche war bis zum Bersten gefüllt, so daß Richard, obwohl er recht zeitig gekommen war, keinen Platz mehr fand und sich zwischen zwei Kirchenstühle zwängen mußte. Er brauchte nicht lange auf Savonarola zu warten. Der Dominikaner schritt langsam, mit der Würde eines Königs, zur Kanzel. Er hatte ein ausgemergeltes Gesicht, tiefliegende Augen, die von den buschigen Augenbrauen fast völlig überschattet wurden, und eine riesige, stark gebogene Nase, die Richard an den Schnabel eines Adlers erinnerte.
    Savonarola begann seine Predigt mit der Auslegung der Mysterien, lenkte aber bald auf anderes über. Seine rauhe, leidenschaftliche Stimme peitschte auf die Gemeinde ein, als er das herausschrie, was vor ihm noch keiner in dieser Deutlichkeit auszusprechen gewagt hatte:
    »Ich habe wahrgenommen, wie stolzer Ehrgeiz Rom ergriffen und alle Dinge befleckt hat. O Italien, o Rom, o Florenz! Eure Schurkereien, eure Gottlosigkeiten, eure Unzucht und eure Grausamkeit bringen Trübsal über uns alle. Gebt auf euer Gepränge – gebt auf, sagte ich euch, eure Kurtisanen und Lustknaben! Die Erde ist besudelt von Blut, aber die Geistlichkeit kümmert es keinen Scudo. Sie sind meilenweit entfernt von Gott, jene Priester, deren Anbetung darin besteht, die Nächte bei Huren zu verbringen und die Tage zu verschwatzen in den Sakristeien. Selbst den Altar haben sie zu einem Kaufladen gemacht. Die Sakramente sind die Zahltische ihres Ämterhandels. Eure Lust hat euch frech gemacht wie die Blicke der Dirnen!«
    Richard wunderte sich nicht mehr über die Unruhe, welche die Stadt ergriffen hatte. Jede dieser Beschuldigungen reichte schon aus, um Fra Savonarola auf den Scheiterhaufen zu bringen. Aber warum war Mario so verstört gewesen? Waren nicht all diese Aufrufe zur Reform in seinem Sinn?
    Unterdessen ging Savonarola, nachdem er die Geistlichkeit mit Worten vernichtet hatte, auf sein nächstes Ziel über: »Seht die Geldverleiher, seht sie, die hier überall zugange sind! Ihr seid der Habsucht schuldig; ihr habt die Beamten bestochen und die Ämter. Auf taube Ohren trifft derjenige, der da sagt, daß es sündhaft sei, Wucher zu treiben, und ihr haltet jeden für einen Narren, der euch davon zurückhalten will.
    Und du, Florenz, du Blume der Hölle! O ihr, die ihr in dieser Stadt lebt, habt wahrhaft den Spruch Jesajas erfüllt: ›Sie tuen kund ihre Sünden wie Sodom, denn sie verbergen sie nicht.‹ Und das Wort des Jeremias: ›Du hast die Stirn einer Hure, du weigerst dich aller Scham.‹«
    Unter den Zuhörern mochten neben den gläubigen Kirchgängern auch nur Neugierige sein, vielleicht sogar Spötter und Skeptiker. Doch nichts davon war mehr zu erkennen. Savonarola hatte sie in seinen Bann gezogen, in atemloser Ehrfurcht. Er streckte seinen Arm über die Brüstung der Kanzel hinweg aus und rief mit einer heiseren, beinahe versagenden Stimme: »Doch warum ist es so weit gekommen? Warum? Weil die Stadt von einem verderbten Tyrannen beherrscht wird, einem Mann, der in seinem Hochmut heidnische Orgien feiert, einem Mann ohne christliche Demut, einem Mann, der noch schlimmer ist als die Sünder Roms! Er wird euch alle in das Heidentum zurückführen, wenn ihr nicht umkehrt und Buße tut! Das Ende der Zeiten ist nahe, und ganz Italien wird in Strömen von Blut ertrinken, tut ihr nicht Buße! Buße! Buße!«
    Während die gesamte Gemeinde in den Schrei Savonarolas einstimmte, fragte sich Richard, ob er das Ende der Zeiten von Florenz nicht schon jetzt erlebte.
    Richards Zimmer im Fondaco hatte seine Vor- und Nachteile. Die Lage zum Innenhof hielt den Straßenlärm fern, doch die Hitze, die sich aufstaute, war manchmal fast greifbar. Wie in jedem anderen Raum stand auch hier eine Wasseramphore. Richard hielt seine Unterarme ein wenig in das kühlende Wasser, dann erklärte er, an seinen Besucher gewandt: »Ich verstehe jetzt, was du meinst. Man kann ihn nicht einordnen. Er hat recht – und er hat unrecht, beides zugleich.«
    Mario nickte. »Korruption in der Kirche, Ämterkauf in allen Gebieten – dagegen muß etwas geschehen, und wir brauchen einen wie Fra Savonarola, der Volk und Klerus hinter sich bringt. Aber seine Angriffe auf die Platonische Akademie und auf Lorenzo …«
    »Und was sagt Il Magnifico dazu?«
    »Er hat Pico gebeten, Fra Savonarola auszurichten, er wolle keinen Streit, und ihm läge nichts so sehr am Herzen wie die Förderung und der Schutz der Kultur, einschließlich der christlichen

Weitere Kostenlose Bücher