Die Puppenspieler
gewissen Boshaftigkeit in der Stimme: »Auf dich muß man von morgens bis abends aufpassen, Saviya. Glaub nicht, daß du mich so leicht loswirst.«
Sie lächelte Richard zu. »Und du willst doch auch nicht, daß ich gehe, oder?«
Saviya packte mit der Schnelligkeit, die sie vorhin beim Jonglieren gezeigt hatte, das Handgelenk ihrer Base und verdrehte es.
»Geh sofort, und wenn du mich beim Woiwoden verrätst, weißt du, was geschieht!«
Nauka starrte sie an, doch in ihren Augen zeigte sich nicht nur Zorn, sondern auch ganz deutlich Furcht. Sie zuckte die Achseln und erhob sich. »Ich gehe«, murmelte sie, »und es ist dein Schatten, nicht meiner.« Ihre goldenen Ketten klirrten, als sie sich leise entfernte.
»Tut mir leid, Riccardo«, sagte Saviya fröhlich, »aber in einem Stamm hat ein heiratsfähiges Mädchen mehr Hüter als ein neugeborener Säugling. Oh, ich habe das satt. Und ich muß dich noch soviel fragen. Was hältst du von meinen Kunststücken? Habe ich mich verändert, was meinst du?«
»Dein Temperament ist dasselbe geblieben, soviel steht fest«, entgegnete Richard trocken. »Dein neuer Stamm hat mein herzliches Beileid. Womit hast du dem armen Mädchen gedroht?«
Saviyas Augen weiteten sich, und sie sagte unschuldig: »Gedroht? Ich? Ich habe eine Prophezeiung gemacht. Wir Zigeuner tun das ständig, Riccardo. Soll ich für dich in die Zukunft sehen?«
»Nein«, erwiderte er, doch Saviya nahm seine rechte Hand in die ihre. »Nicht die linke – die zeigt nur, was du tun könntest, nicht, was du tun wirst.«
Ihre Fingerspitzen tanzten über seinen Handballen hinweg, zogen die Linien der Handfläche nach. Sie rückte ein wenig näher, und ihr Haar streifte seinen Mund. In Richard erwachte ein Gefühl, das er endgültig begraben gewähnt hatte. »Bitte, Saviya«, sagte er sehr ernst, »hör auf.«
Sie hob den Kopf, und ihr Blick traf den seinen. »Ich bin kein Kind mehr, Riccardo, wirklich nicht mehr.«
Er berührte mit der linken Hand ihre Wange. »Da bin ich nicht so sicher. Auch ich bin kein Kind mehr, Saviya. Ich könnte dir weh tun, und damit meine ich nicht, was du glaubst. Das wollte ich dir damals erklären. Es liegt nicht an dir, sondern an mir.«
Saviya schüttelte den Kopf, nicht ärgerlich, nur bestimmt. »Du irrst dich, Riccardo«, sagte sie und lächelte wie über einen geheimen Scherz. »Als ich dich zuerst gesehen habe, da wußte ich es. Du hast mich aus der schwarzen Welt zurückgeholt, und ich habe für dich getötet. Ich liebe dich, und du wirst …«
Der Schatten des Woiwoden fiel auf sie. »Saviya«, grollte er, »was hast du mit Nauka gemacht? Geh, sofort.«
Richard erhob sich, und auch Saviya stand auf. Einen Augenblick lang schien sie rebellieren zu wollen. Ihre Unterlippe zitterte. Dann seufzte sie übertrieben ehrerbietig, verbeugte sich mit gekreuzten Händen und verschwand wie ein Traum in der Nacht.
»Es ist nichts geschehen«, sagte Richard.
»Alles ist geschehen. Aber dagegen kannst du nichts tun, poschrat . Und das törichte Enkelkind meines Vetters auch nicht.«
Man hatte Richard einen Schlafplatz innerhalb des Lagers eingeräumt, doch er konnte keine Ruhe finden. Statt dessen ging er durch den kleinen Olivenhain. Als er dann auf sie traf, war er erleichtert und beunruhigt zugleich.
»Saviya, Saviya, ich …«
»O Riccardo, bitte, laß uns hierbleiben. Niemand wird hierherkommen, nur die Toten. Es wird nichts passieren, ich möchte nur in deiner Nähe schlafen, wie damals in den Bergen. Morgen sind wir in Florenz, und denkst du, ich weiß nicht, daß du dort ein ehrbarer Bürger bist und ich eine Zigeunerin? Aber hier ist nirgendwo. Laß uns für diese eine Nacht noch zusammenbleiben.«
Ich bin nicht Ulrich von Remar, sagte sich Richard, während er einen Arm um sie legte und sie beide stumm weitergingen. Ich vergewaltige keine kleinen Mädchen. Es wird nichts geschehen – und warum auch? Sie ist ein Kind. Und ich liebe dieses Kind.
Sie wanderten durch den Wald, und so nebeneinander zu laufen, hatte seine eigene Harmonie und schien für beide vollkommen natürlich zu sein. Als er ein paar Blumen im Mondlicht schimmern sah, bückte sich Richard und pflückte sie für Saviya. Sie erzählte ihm ein altes Märchen ihres Volkes, über den Feenkönig und die Feenkönigin, die sich in einem solchen Wald gestritten hatten, und er zitierte, wie während ihrer Krankheit, Gedichte für sie. Einmal blieben sie stehen, um dem Gesang eines Vogels zu lauschen, der
Weitere Kostenlose Bücher