Die Puppenspieler
laut er konnte, um die Menge zu übertönen: »Aufhören! Hört sofort auf!« Verblüfft wandten sich Florentiner wie Zigeuner den Neuankömmlingen zu. Mario gab Richard ein Zeichen und kletterte auf die nächstbeste Kiste.
»Wollt ihr wohl aufhören«, donnerte er im besten Predigerstil und hob beide Arme wie Savonarola auf der Kanzel. »Was ist in euch gefahren, daß ihr mit Steinen auf die Armen werft, statt sie zu nähren und zu kleiden, wie der Herr es uns befohlen hat? Hartherzigkeit hat eure Herzen ergriffen! Oh, Florenz!«
Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, dann hätte Richard Marios Auftritt komisch gefunden, denn er begriff sehr wohl, daß der Mönch Savonarola parodierte. Betretenes Schweigen breitete sich aus, als Mario fortfuhr: »Wie wollt ihr nun gerettet werden, wenn ihr so blutgierig handelt wie die Heiden, die einst die ersten Christen zu Tode brachten? Steinigung! Büßen sollt ihr, nicht mordschatzen wie die Soldaten!«
»Aber, Padre«, kam der erste Einwand, »das sind keine Armen. Das sind Zigeuner, und sie wollen den heiligen Sonntag entweihen.«
Mario holte tief Luft. »Haben nicht auch Zigeuner ihren Platz in der Schöpfung? Habt ihr euch nicht selbst an ihren Kunststücken erfreut wie an den Lilien im Feld? Sie arbeiten nicht, sie ernten nicht, doch der himmlische Vater ernährt sie trotzdem, und selbst Salomo in seiner Pracht war nicht so schön wie diese Lilien. Habt ihr vergessen, wie unser Herr selbst das sagte?«
Richard schaute zu den ›Lilien‹. Sie waren über ihren unerwarteten Helfer womöglich noch überraschter gewesen als die Einheimischen. Die meisten von ihnen standen noch kampfbereit da. Er fand Saviya unter ihnen. Sie hielt immer noch ein Messer in der Hand und war offensichtlich auch bereit, es zu gebrauchen. Sie straffte sich, und eine Sekunde lang erwiderte sie seinen Blick. Ihre Augen wirkten eiskalt.
»Und wenn sie den Sonntag entheiligen wollten«, predigte Mario weiter, »wer seid ihr, um darüber zu richten? Das steht allein der Kirche zu. Ich werde mich darum kümmern. Denkt lieber über eure eigenen Sünden nach, statt den Splitter aus dem Auge eures Bruders zu ziehen, und schert euch fort. Jeder von euch betet mir mindestens drei Ave Maria für seine Unchristlichkeit.«
Mit verschränkten Armen stand er da wie das Gericht Gottes, und einer nach dem anderen zogen die Florentiner die Köpfe ein und verschwanden, manche schnell, manche zögernd und langsam. Richard ging zu den Zigeunern hinüber, die wohl noch nie von einem Gorgio-Priester verteidigt worden waren und wie gebannt auf Mario starrten. Das harte Gesicht des grauhaarigen Woiwoden brach in ein Lächeln auf, als Richard vor ihm stand.
»Ah, Riccardo! Du hast ihn hierhergebracht, nicht wahr? Wahrhaftig, du bist ein Bruder, du hast gespürt, daß der Stamm in Gefahr war.«
Neben dem Woiwoden wandte sich Saviya ab. Richard berührte ihre Schulter. »Saviya …«
»Laß mich los«, sagte sie kalt. »Ja, ich weiß, du hast dir Sorgen um mich gemacht, und also bist du gekommen. Das ist in einem Satz der ganze Riccardo. Du kommst immer und hilfst, aber du bleibst nie, weil du Angst hast, zu bleiben. Und was nützt deine Hilfe dann, Riccardo? Was nützt sie?«
»Chut!« rief der Woiwode scharf. Saviya stampfte mit dem Fuß auf, drehte sich um und rannte davon. Richard wäre ihr nachgegangen, hätte er nicht gespürt, daß sie recht hatte, und wäre in diesem Moment nicht Mario zu ihm getreten. Er schluckte die Worte hinunter, die ihm auf der Zunge lagen, und sagte statt dessen: »Das ist Fra Mario Volterra, Woiwode, ein Freund.«
»Und ein Retter in der Not«, ergänzte Mario gutgelaunt. »Nehmt den Vorfall nicht so schwer. Die Stadt wird sich wieder beruhigen. Inzwischen würde ich Euch empfehlen, nicht auf den Marktplätzen, sondern in den Palazzi der großen Familien aufzutreten. Die Stadt wird bald einen neuen, wichtigen Gast haben, und dann sind nie genügend Gaukler zu finden.«
»Was für einen neuen Gast?« fragte Richard auf dem Rückweg zum Fondaco. »Noch ein Prediger?«
Mario hüstelte. »Hm … nein. Eher das Gegenteil. Giovanni de'Medici kommt aus Pisa zurück, wo er bei Filippo Decio Theologie studiert. Und er bringt einen seiner Mitstudenten mit oder, besser gesagt, der Mitstudent hat sich selbst eingeladen, wahrscheinlich auf Geheiß seines Vaters.«
»Mario«, kommentierte Richard tadelnd, »du hast einen entschiedenen Hang zum Dramatischen. Sag schon, wer ist es?«
»Der
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