Die Puppenspieler
Weg.
Bis zum Abend war die Verstimmung zwischen ihnen jedoch längst verflogen. Er hatte ihr in groben Zügen von seinen Erlebnissen in Florenz berichtet, und Saviya erzählte von ihrem neuen Stamm und den Städten, die sie gesehen hatte. Richard war neugierig auf die Sprache der Zigeuner geworden und bat sie, ihm doch etwas davon beizubringen. Die Art, wie er sich an der Aussprache verschiedener Ausdrücke versuchte, sorgte nicht nur bei Saviya, sondern auch bei den Kindern, die sich neugierig um den Fremden drängten, für Erheiterung und vertrieb ihnen die Zeit. Da der Wagen der Zigeuner wesentlich länger brauchte als ein einzelner Reiter waren sie bei Einbruch der Nacht noch immer einige Meilen von Florenz entfernt und schlugen an einer geschützten Stelle ihr Lager auf.
Richard bewunderte die Schnelligkeit, mit der die Zigeuner eine Lichtung in einen Lagerplatz verwandelten, wo ein Feuer brannte und aus allerlei Vorräten ein Mahl bereitet wurde. Er steuerte bei, was ihm an Reiseproviant noch geblieben war, und staunte, was daraus wurde. Sie sprachen nun alle ohne Mißtrauen oder Scheu mit ihm, und er erfuhr, daß die kleinen Feuer an den Ecken des Lagers vor allem dazu dienen sollten, die Geister der Toten fernzuhalten. Auch die Mahlzeit lief nach festgelegten Ritualen ab: Zunächst sprach der Woiwode sehr ernst und feierlich einen Segen, dann teilte er selbst das Brot und Pökelfleisch aus. Er erzählte Richard, daß sie hofften, in Florenz mit ihren Kunststücken großen Erfolg zu haben, und wies auf diejenigen Mitglieder des Stammes hin, die sich schon bald erhoben, um ihre Übungen zu machen.
Richard erkannte Saviya unter ihnen. Sie jonglierte, zuerst mit Bällen, dann mit brennenden Fackeln, und er bemerkte plötzlich, daß er vergessen hatte, zu atmen. Der Woiwode war seinem Blick gefolgt.
»Wenn sie meine Tochter wäre«, sagte der alte Mann ruhig, »oder unter uns geboren, würde ich ihr verbieten, in Männerkleidern herumzulaufen, aber sie ist die Enkelin meines Vetters. Wenn sie auftritt, zieht sie die Leute auf den Marktplätzen an wie die Fliegen.«
Richard murmelte undeutlich irgend etwas, ohne zu wissen, was er eigentlich sagen wollte. Er hatte schon zahlreiche Jahrmarktsgaukler erlebt, aber die Zigeuner, die sich nun immer schneller bewegten, umgab etwas Einzigartiges. Saviya war inzwischen dazu übergegangen, Saltos zu schlagen. Später bildete sie die Spitze einer Pyramide, die sich aus verschiedenen anderen Zigeunern zusammensetzte und der eine ähnliche Gruppe gegenüberstand. Sie stieß sich ab, wirbelte von der einen Pyramide zur anderen, und einen Moment lang glaubte Richard, sie würde fallen. Er zuckte zusammen. Der Woiwode beobachtete ihn belustigt.
»Ihr geschieht nichts. Niemand von uns kann es sich leisten zu stürzen.«
Die Worte klangen irgendwie doppeldeutig, und Richard meinte eine Erklärung abgeben zu müssen. »Ich bin eigentlich nur noch immer verwundert, weil ich das Kind so lange nicht …«
»Sicher«, sagte der alte Mann ironisch. Sie sahen beide weiter den Akrobaten zu, bis ›das Kind‹ einen leisen Schmerzensschrei ausstieß und ihre Übungen abbrach. Sich mit der Hand die linke Schulter reibend, kam sie zu ihnen herüber. Ihre Gestalt zeichnete sich scharf gegen das Lagerfeuer ab.
»Ich habe dir gesagt, du sollst deine Schulter nicht zu sehr belasten«, brummte der Woiwode.
Saviya erwiderte etwas in ihrer eigenen Sprache, dann setzte sie sich, immer noch ein wenig außer Atem, neben Richard. Der Woiwode runzelte die Stirn und winkte einem anderen Mädchen, das sich sofort zu ihnen gesellte. Sie war hübsch, vielleicht ein wenig älter als Richard, und trug mehrere Ketten, die aus Goldmünzen bestanden, als Schmuck. Verwundert hob Richard die Augenbrauen. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es sich um echtes Gold handelte; es mußte wohl die beste Fälschung sein, die ihm je untergekommen war.
»Nauka, bleib bei deiner Base und ihrem Bruder«, sagte der Woiwode streng, »ich komme gleich wieder.«
Saviya wartete, bis er sich außer Hörweite befand, dann beugte sie sich zu Richard und wisperte mit gespielter Entrüstung: »Er kann doch nicht ganz vergessen, daß du ein Gorgio bist – und was man von den Gorgios so alles behauptet.«
Nauka schnalzte mißbilligend mit der Zunge, und Saviya fuhr sie an: »Chut, Nauka, ich bin bei Riccardo so sicher wie in einem Kloster. Du brauchst nicht auf uns aufzupassen.«
Das ältere Mädchen erwiderte mit einer
Weitere Kostenlose Bücher