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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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eine Schande, Woiwode. Und Tod kann von allen Menschen kommen … Es wäre mein Tod, Riccardo zu verlassen. Zeichen führen irre, wenn man sie zu ernst nimmt. Liest du darin, daß er den Tod bringt? Ich lese«, sie deutete auf einen querliegenden Zweig, »von ihm kommt Leben.«
    Humor blitzte in ihrem Verwandten auf. »Du liest deinen Eigensinn, Saviya … wie immer. Doch was rede ich noch? Du hast dich entschieden. Glück auf deinem Weg, Saviya … Und vergiß die Stimme des Mondes nicht.«
    Vor ein paar Monaten war einer der Gehilfen so unklug gewesen, seine Geliebte im Fondaco einquartieren zu wollen. Richard hatte Anton Eberdings Reaktion noch gut genug im Kopf, um sich ein Zimmer zu mieten. Es war nicht billig, doch er konnte es sich leisten. Selbstverständlich blieben die Vorbereitungen zum Umzug nicht unbemerkt, wie auch Saviyas Besuche, und Richard hatte Gelegenheit, sich in Selbstbeherrschung angesichts Dutzender von passenden und unpassenden Scherzen zu üben. Selbst Eberdings »Ihr seid irgendwo verdreht, Junge – von allen Frauen ausgerechnet eine von diesem Diebesgesindel!« überging er.
    Womit er jedoch nicht gerechnet hatte, war Marios offene Mißbilligung. »Ich halte das für einen sehr großen Fehler, Riccardo«, erklärte der Augustiner unverblümt.
    Richard empfand zunächst eher Verwunderung als Kränkung. »Aber warum? Ich liebe sie.«
    »Und wie lange kennst du sie schon? Bist du dir sicher, daß du dich nicht einfach in das erste Mädchen verliebt hast, das … nun, entgegenkommend genug war, um dich von der Vorstellung zu befreien, du wärest zum Zölibat verurteilt?«
    Richard verschränkte die Arme. »Ich kenne sie schon lange, ich habe sie schon lange geliebt, ohne daß sie, wie du dich ausdrückst, entgegenkommend war, und außerdem, bist du dir sicher, daß du nicht einfach etwas gegen Zigeunerinnen hast?«
    Mario war einigermaßen erschöpft. Er hatte an diesem Tag dem Prior geholfen, dessen Predigt gegen Savonarola vorzubereiten, hatte sich die gequälten Monologe Pico della Mirandolas über seinen seelischen Zwiespalt angehört und außerdem noch erfahren, daß ein Drucker an die zwanzig Seiten seiner Polo-Übersetzung ruiniert hatte. Daher antwortete er etwas kurzangebunden: »Ich habe nichts gegen Zigeunerinnen, aber anders als gewisse unreife Freunde von mir sehe ich sie auch nicht als Göttinnen, nur weil sie bereit sind, das Bett mit mir zu teilen.«
    Zu spät erkannte er, daß er zu weit gegangen war.
    Eisig erwiderte Richard: »Ich denke nicht, daß jemand, der sich lebenslang hinter seinen Klostermauern vor allen Frauen verschanzt hat, überhaupt beurteilen kann, was Liebe ist.«
    Alle Selbstsicherheit und Ironie, die Fra Mario Volterra sonst kennzeichneten, verschwanden für den Bruchteil einer Sekunde. Dann wandte er sich ab und begann seine Manuskripte zusammenzuräumen. »Natürlich«, sagte er tonlos, »ich weiß nicht, was Liebe ist. Bitte entschuldige mich, Riccardo.«
    Richard hätte sich die Zunge abbeißen mögen. Er legte dem Priester eine Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid, Mario. Das wollte ich nicht sagen, es war ungerecht … Eigentlich wollte ich dich um etwas bitten.«
    Mario hatte sich wieder gefangen. »Nun«, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen, »Bitten anzuhören ist mein Beruf … der meine Berufung. Was gibt es diesmal?«
    »Saviya möchte Lesen und Schreiben lernen, Rechnen auch, Geschichte, eigentlich alles, und ich werde nicht immer Zeit haben, sie zu unterrichten. Andererseits weiß ich, was für ein hervorragender Lehrer du bist.«
    »In einer Schmeichelei verpackt«, zitierte Mario ein florentinisches Sprichwort, »ruht die Rechnung der Zeche. Aber im Ernst, Riccardo, ich helfe dir gerne. Du sollst mir nicht vorwerfen können, daß ich irgend jemandem gegenüber voreingenommen bin, und außerdem sind wir Freunde. Es wird eine erholsame Abwechslung sein – ich wette, deine Saviya ist der einzige Mensch in Florenz, der nicht ständig von Fra Savonarola spricht!«
    Die Boboli-Gärten waren bei Morgengrauen noch in kühlen, herbstlichen Dunst gehüllt. Wie weiße Flecken in einer graugrünen Welt aus Pinien und Olivenbäumen, die sich ineinander verschlungen hatten, so stachen die Marmorstatuen hervor, welche die Familie Pitti hier aufgestellt hatte. Ihr gehörten die Gärten, doch die Pitti machten sich ein Vergnügen daraus, jeden neugierigen Florentiner, der den allmählich entstehenden neuen Palazzo bewundern wollte, hier zu bewirten.

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