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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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und das Zigeunermädchen hatten ein merkwürdig zwiespältiges Verhältnis zueinander, das Richard beunruhigte.
    »Ein sehr kluges Mädchen, Riccardo – wie alt, sagtest du, ist sie?«
    »Natürlich ist er ein wunderbarer Lehrer – aber was geht ihn mein Alter überhaupt an? Außerdem hält er sich für vollkommen, und das ist er nicht. Ich weiß es.«
    Zur Fastenzeit des neuen Jahres hatte Savonarolas Ruhm sich derart verbreitet, daß man ihn bat, während der Festtage im Duomo zu predigen. Saviya, die bisher nie einen Fuß in eine Kirche gesetzt hatte, verblüffte Richard mit dem Wunsch, einer der Predigten beizuwohnen.
    »Du gehst doch ohnehin, nicht wahr, mit deinem Freund, dem Priester?«
    Mario empfing sie am Portal des gewaltigen Baus und lotste sie durch die übervolle Kathedrale, die die Menschen zu Zwergen werden ließ. Saviya schauderte und lehnte sich einen Moment an Richard. Sie trug das Florentiner Festtagsgewand, mit dem weitgefältelten Rock, dem engen Mieder und der kleinen bunten Kappe auf dem Haar, die Mode geworden war und die Ghirlanda abgelöst hatte. Dennoch drehten sich einige Leute nach ihr um und musterten sie irritiert.
    Ehrfürchtiges Gemurmel stieg auf, als Savonarola langsam, als bereite ihm jeder Schritt Schmerzen, die Kanzel erklomm. Durch das Fasten war er noch mehr abgemagert, seine knochigen Hände wirkten fast durchscheinend, und aus dem pergamentweißen Gesicht glommen die Augen wie aus einem Totenschädel. »Ein Heiliger!« raunte mehr als ein Florentiner.
    Savonarola begann seine Predigt mit den Leiden Christi und seinem Fasten in der Wüste, und es wurde deutlich, welche Parallelen er zu diesem Ereignis sah. Beinahe übergangslos glitt er vom Neuen Testament zum Alten, und die Gemeinde lauschte ihm hingerissen.
    »Als Saul dem Herrn sein Opfer verweigerte und sein Herz an schnödem Gewinn hing, da setzte der Herr ihn ab. So höre, Florenz! Du hast einen abgrundtief verderbten Tyrannen, der die Gelder der Stadt an lasterhafte Manuskripte, sündige Kunstwerke und seine eigenen schamlosen Genüsse verschleudert! Du hast eine ehrlose Signoria, die hinter ihm steht und ihm das alles ermöglicht! Sie alle wollen das Volk zur Beute des Teufels machen!«
    Richard hielt den Atem an. Das klang nun nicht mehr nur nach den gewohnten Vorwürfen. Diesmal wollte Savonarola auf etwas hinaus, und das Beispiel aus dem Alten Testament … Neben ihm flüsterte Mario: »Dies irae .« Saviya sagte nichts. Auf ihrer Stirn standen drei steile Falten. Sie hatte den Dominikaner aus einem bestimmten Grund sehen wollen, und es schien, daß sich ihre Vermutung bestätigte. Ein Teil der Zuhörer blickte nun nicht mehr nur empor zu Savonarola auf der Kanzel, sondern zu der Bank der Medici, wo Lorenzo sich die Predigt des Mönchs bisher mit stummem Lächeln angehört hatte. Nun war alle Ironie aus der Miene Il Magnificos verschwunden. Mit zusammengepreßten Lippen und einer beinahe gefährlichen Konzentration hörte er sich Savonarolas Forderungen an. Lorenzo solle gehen. Die Signoria, die ihn stützte, solle gehen, ebenso die Richter und Beamten, die allesamt von den Medici korrumpiert worden seien. Florenz sollte zu einer Republik Gottes werden.
    Wer aber sollte Florenz regieren?
    Savonarola.
    Gott hatte ihn berufen.
    Richard hatte Saviya eigentlich versprochen, noch mit ihr auf den Jahrmarkt zu gehen, doch Savonarolas Predigt und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben konnten, wühlten ihn so sehr auf, daß er sich entschied, statt dessen gleich zur Herberge zurückzukehren und Jakob über die neueste Entwicklung zu berichten.
    »Mario, es macht dir doch nichts aus, Saviya zum Jahrmarkt zu begleiten, oder?«
    »Mir macht es etwas aus«, sagte Saviya, bevor der Priester antworten konnte, und wie um die Schärfe ihrer Worte wieder wettzumachen, lächelte sie und fügte hinzu: »Ich möchte lieber mit dir kommen.«
    Also trennten sie sich. Richard und Saviya brauchten nicht lange, um ihre Herberge zu erreichen, wo Richard sich sofort ans Schreiben machte. Mittlerweile war er so geübt in dem Verschlüsselungssystem, daß er es nicht mehr nötig hatte, seinen Brief zunächst in Klarschrift aufzusetzen.
    Diesmal allerdings stockte ihm mehrmals die Feder; die erstrebte Sachlichkeit fiel ihm heute bisweilen schwer.
    »Zu Girolamo Savonarola: Ich ziehe meine ursprüngliche Einschätzung zurück. Die von ihm ausgelöste Welle der Frömmigkeit in Florenz ist keine Modeerscheinung, sondern scheint bis auf

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