Die Puppenspieler
»Laßt diesen frommen, gottesfürchtigen Mann holen«, sagte sie scharf, »damit er mir ins Gesicht sagt, daß ich beschuldigt werde, ihn verführen zu wollen!«
»Damit Ihr Euren Zauber erneuern könnt?« schlug Heinrich Institoris zurück.
»Ich bin keine Hexe. Außerdem wüßte ich nicht, daß Verführungskünste aus einer Frau schon eine Hexe machen. Wenn dem nämlich so ist, dann sollte das Umgekehrte auch für den Mann gelten – damit wären Eure beiden Zeugen schon Hexer!«
Das Gesicht des Inquisitors verdunkelte sich. »Weib, wagt es nicht, Euch über mich lustig zu machen!« Er atmete schwer auf und rang um Ruhe. Dies war nicht der richtige Weg. Der Inquisitor hatte immer der Überlegene, Gelassene, Ruhige bei einem Verhör zu sein, das wußte er schon sehr lange.
»Es ist nicht so«, sagte er langsam und kalt, »als ob der Liebestrank der einzige Beweis für Eure zauberischen Kräfte wäre. Ihr wußtet auch den Namen des Mannes, ehe er ihn Euch genannt hatte. Doch zweifellos werdet Ihr auch dafür eine Erklärung haben. So kommen wir nicht weiter. Ihr schwört also, keine Hexe zu sein und niemals zauberische Handlungen begangen zu haben?«
Zobeida war ein wenig erschüttert über den plötzlichen Tonwechsel. Wenn er nur das hören wollte, warum hatte er ihr diese Frage nicht gleich gestellt, sondern erst all diese albernen Sachen vorgebracht? »Natürlich«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich schwöre es.«
Der Inquisitor wies mit dem Kinn zur Tür. »Ihr könnt gehen, Frau.«
Die Männer schauten ihr nach, dann starrte der Richter Bruder Heinrich an. Dieser wandte sich an den Notar. »Habt Ihr ihre Aussage aufgeschrieben und das ›verhandelt wurde etcétéra‹ daruntergesetzt?«
Der Angesprochene nickte, während er noch hastig die letzten Zeilen kritzelte. »Was … was nun?« fragte der Richter unschlüssig. Er wußte nicht, was er von diesem plötzlichen Ende halten sollte. »Meint Ihr, daß sie sich gerechtfertigt …« Ein Blick von Bruder Heinrich brachte ihn zum Verstummen.
»Ich«, sagte der Inquisitor und betonte sorgsam jedes Wort, »bin fester denn je überzeugt, daß sie eine Hexe ist. Doch mehr kann nur durch ein Verhör erlangt werden, dem dreierlei Dinge vorangehen. Erstens müßt Ihr sie verhaften lassen, zweitens ihr Haus nach Hexengerät durchsuchen und drittens im Ort bekanntmachen lassen, daß jeder, der etwas Nachteiliges über sie zu sagen hat oder beobachtet hat, wie sie hext, sich sofort und ohne Furcht der Inquisition anvertrauen soll – als Denunziant.«
Der Richter starrte ihn an. Selbst bei den Ketzerprozessen der vergangenen Jahrhunderte wurde seines Wissens ein derartiges Mittel nicht angewandt. Es öffnete der Denunziation Tür und Tor, lud geradezu zur üblen Nachrede ein, und als er in seiner Erinnerung nach vergleichbaren Fällen suchte, kam ihm nur eine fast vergessene Geschichte aus dem alten Rom in den Sinn – Sulla und seine Proskriptionslisten.
»Warum habt Ihr sie dann gehen lassen?«
»Da Ihr nun einmal darauf bestanden habt, sie erst vorzuladen, bevor Ihr den Durchsuchungsbefehl gebt, müssen wir uns nun auch an das Gesetz halten und ein paar Stunden verstreichen lassen, bevor wir von neuem jemanden zu ihr schicken, selbst auf die Gefahr hin, daß sie nun flieht. Ich bin schließlich kein Rechtsbrecher. Doch ich werde jemanden hinschicken, der sie beobachten soll und sie an einer Flucht hindern wird.«
Rainer Wassermann bekreuzigte sich. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sagte schließlich fast unhörbar: »Ich bin noch nicht davon überzeugt, daß eine Verhaftung gerechtfertigt ist.«
Der weißbärtige Mann vor ihm beugte sich über den Tisch. Der Richter sah in zwei wasserblaue Augen, die ihn an Eis im Winter erinnerten.
»Mich wundert es sehr«, sagte der Inquisitor gedehnt, »daß Ihr diese Hexe so in Schutz nehmt. In der Tat, ich bin verwundert, und ich frage mich, warum.«
Während Wassermann sein Gegenüber wie ein von einer Schlange gebanntes Kaninchen anschaute, stieg zum ersten Mal eine Vorahnung jener Furcht in ihm auf, die er noch nie gekannt hatte, doch die im Laufe der Zeit noch Hunderttausende wie ihn packen sollte: die Furcht, selbst angezeigt zu werden.
»Natürlich war es Bruder Ludwig«, sagte Richard. »Dieser Dreckskerl! Dieser Schweinehund! Ihr hättet mir gleich davon erzählen sollen, Mama.« Wenn er sich vorstellte, wie Bruder Ludwig versuchte, seine Mutter zu vergewaltigen, packte ihn die blanke
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