Die Puppenspieler
ungewöhnlich, es gab keine festen Regeln, an die man sich halten konnte, und die neue Bulle des Papstes half in dieser Beziehung auch nicht viel weiter. Ach, die ganze Angelegenheit war so gänzlich unerfreulich, dachte Wassermann verärgert.
Der Inquisitor, mit dem er nun zu tun hatte, schien ihn außerdem für einen rückständigen Narren zu halten. Auf Wassermanns Einwand, man müsse für Hexen- oder Ketzereiprozesse doch erst die Genehmigung des Bischofs einholen, hatte Heinrich Institoris mit einer hochmütigen Geste geantwortet, als einer der beiden Inquisitoren für die deutschen Lande könne er den Bischof selbstverständlich übergehen.
Bruder Ludwig und Emmerich Kühn, der Schreiner, hatten ihre Klagen vorgebracht, und die Feinheit der Unterscheidung zwischen Ankläger und Denunziant, die beide als Zeugen galten, hatten ihm weiteres Kopfzerbrechen verursacht. In normalen Verleumdungsprozessen gab es so etwas nicht. Er war erleichtert gewesen, dem Notar schließlich nach Aufzeichnung der Anzeigen diktieren zu können: »Das ist verhandelt worden in Wandlingen, am dreiundzwanzigsten Tag des Monats April im Jahre des Herrn 1484, in meiner und des Notars Baumgärtels Gegenwart, unter Hinzuziehung eines anderen zur Stärkung des Amtes des Schriftführers, und der hierzu gerufenen und gebetenen Zeugen Frater Ludwig Maaßen, Bruder des Benediktinerordens, und Meister Emmerich Kühn, Schreiner zu Wandlingen.«
Nach Meinung des Richters war die Angelegenheit jetzt so gut wie erledigt. Man mußte nur noch Frau Artzt vorladen und sie befragen. Natürlich würde sie die Anschuldigung abstreiten, und damit würde das ganze unangenehme Geschäft im Sand verlaufen. Frau Artzt war eine Fremde, gewiß, doch hatte sie nicht viele Kranke geheilt, auch aus seiner eigenen Familie? Und besuchte sie nicht gottesfürchtig die Messe? Doch schon wieder gingen sein Rechtsempfinden und das des Inquisitors auseinander. Dieser forderte nämlich, daß Frau Artzt nicht nur vorgeladen, sondern daß auch sofort ihr Haus nach Zaubermitteln durchsucht werden sollte.
»Aber«, sagte Rainer Wassermann fassungslos, »bis jetzt haben wir doch noch überhaupt nicht festgestellt, ob der Verdacht gerechtfertigt ist. Wir müssen sie doch erst anhören, bevor wir ihr Haus durchsuchen lassen können. Bis jetzt haben wir nur zwei Denunzianten, keine Ankläger. Ich bin sicher, wenn Frau Artzt erst den beiden Zeugen gegenübersteht, wird sie sich rechtfertigen …«
»Mann!« donnerte Bruder Heinrich. »Ihr wollt diese beiden ehrlichen Männer in ihrer Gegenwart belassen?«
»Das ist bei Verleumdungsprozessen so üblich. Handelt es sich nur um üble Nachrede, so brechen die …«
»Dies«, schnitt ihm der Dominikaner das Wort ab, »ist kein Verleumdungsprozeß. Wir haben es mit einer mutmaßlichen Hexe zu tun. Wenn sie die beiden Zeugen zu Gesicht bekommt, könnte sie ihren Bann erneuern. Ja, Ihr dürft diesem Weib noch nicht einmal die Namen der Zeugen nennen, sonst würdet Ihr zwei gute Christen in tödliche Gefahr bringen!«
Der Richter machte einen immer verwirrteren Eindruck. Dies widersprach jeglicher Rechtspraxis. »Doch wenn sie nicht weiß, wen sie verhext haben soll, welches Ereignis gemeint ist, wie soll sie sich da rechtfertigen können?«
Bruder Heinrich schüttelte mitleidig den Kopf. »Man sieht, daß Ihr keine Ahnung von der Tücke der Weiber habt. Ist sie unschuldig, so wird sie sich schon erinnern an so merkwürdige Dinge, ohne Namen zu kennen. Ein Weib kennt tausenderlei Schliche, und ihr werden im Gegenteil viel zuviel Rechtfertigungsgründe einfallen!«
Wassermann klammerte sich an einen Strohhalm. »Aber des Kaisers eigenes Gesetz besagt doch, daß der Beschuldigte das Recht hat, seine Ankläger zu …«
»Es gibt keine Ankläger«, erwiderte der Dominikaner geschmeidig, »sondern nur Denunzianten. Denunzianten brauchen nicht genannt zu werden.«
Wassermann fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Gut und schön. Ihr seid der Inquisitor und habt Erfahrung mit solchen Prozessen. Aber ich werde sie dennoch erst vorladen und anhören, und wenn sie sich als unschuldig erweist, besteht kein Grund, ihr Haus zu durchsuchen.«
Bruder Heinrich schwieg einen Moment. »Nun gut«, sagte er schließlich mit einem unergründlichen Unterton. »Doch da Ihr, wie Ihr selbst bemerktet, keine Erfahrung mit Hexen habt, gestattet mir, an Eurer Stelle die Fragen zu stellen.«
Die Bitte war höflich formuliert, doch Wassermann wurde sich
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