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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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suchte (hervorragende Zeichenobjekte), der Inquisitor, der von der Kanzel herab auf eine gebannte Gemeinde einpredigte.
    Er versuchte, an Angenehmeres zu denken, an seinen Geburtstag im Hochsommer. Alle anderen Jungen, die er kannte, wurden nur zu ihrem Namenstag beschenkt, seine Mutter dagegen hielt sich an die Sitte ihrer Heimat und feierte seine Geburtstage. Zobeida hatte ihren Arm um ihn gelegt, um ihn zur Ruhe zu bringen. Schließlich glitt er in die tieferen Regionen des Schlafes ab.
    Dort vermischte sich auf seltsame Weise die Predigt des Bruders Heinrich mit dem Getuschel, das die Jungen im Kloster austauschten, wenn kein Mönch in der Nähe war. Die mächtige Stimme dröhnte in seinen Träumen: »Ihre Kehle ist glatter als Öl, ihr Busen ist ein wogendes Meer der Lust, ihre Hüften der Ursprung aller Sünde … eine Falle ist der Körper des Weibes … schöne Beine, schöne Schenkel, und Brüste, nicht wahr, Kuno, die Brüste … Fallen der Verdammnis … Haare wie Seide, und die Frauen, die Frauen …«
    Er wachte jäh auf. Sein Körper erschauerte unter den Zuckungen seines Innersten. Scham und Angst erfaßten ihn, als er merkte, was geschehen war. Er hatte die anderen darüber reden hören, aber daß es ausgerechnet in dieser Nacht geschehen mußte …
    Verzweifelt zerbrach er sich den Kopf, wie er es vor seiner Mutter verbergen könnte. Deo gratias , er hatte ihr den Rücken zugedreht, doch mit einem Mal war ihm das Gewicht ihres Arms, die fast unmerkliche Berührung ihrer Brüste in seinem Rücken schmerzhaft bewußt, und er hätte alles gegeben, um wieder in seinem eigenen Bett zu liegen.
    Doch gerade als er überlegte, wie er aufstehen könnte, ohne sie zu wecken – und sie brauchte den Schlaf doch so notwendig –, hörte er das harte Pochen an der Tür im unteren Stockwerk. Er setzte sich auf, und als auch Stimmen dazukamen, rannte er nach unten, wobei er sich im Laufen noch hastig das Hemd griff, das er gestern unter seinem Wams getragen hatte.
    Irgendwoher wußte er, daß, wer auch immer vor der Tür stand, er diesmal nicht gekommen war, um eine Hebamme zu holen. Doch als Richard am Fuß der Treppe angelangt war, hatten sie die Tür schon aufgebrochen.
    »Was soll das bedeuten?« rief Richard empört.
    Männer der Stadtwache, die Fackeln trugen, drangen ein, ohne auf ihn zu achten. Als ihr Anführer stellte sich ein Mann heraus, den Richard vom Sehen her kannte – Harald Epelstein.
    »Geh aus dem Weg, Kleiner!« sagte er grob. »Wo ist deine Mutter?«
    »Am heiligen Sonntag ist gut Hexen jagen«, feixte ein anderer, »und nichts zu befürchten.«
    Über Richards Kopf hinweg erscholl eine andere Stimme. »Was«, wiederholte sie Richards Frage, »hat das alles zu bedeuten? Was wollt Ihr hier?«
    Zobeida stand auf der obersten Stufe der schmalen Stiege. In der Dunkelheit wirkte sie bleich, doch ihre Wangen flammten, das Gewand, das sie sich hastig übergeworfen hatte, war nur unzureichend geschnürt, und ihre gelösten Haare bildeten eine nebelhafte Aureole. Richard schoß der Gedanke durch den Kopf, daß seine Mutter selten schöner ausgesehen hatte als in diesem Moment, da sie ihren Feinden entgegentrat.
    »Sieh da, die Hexe«, rief einer, und Epelstein sagte: »Frau Zobeida, Ihr kommt besser mit uns, ohne Euch zu wehren.« Er wandte sich an seine Männer.
    »Durchsucht das Haus! Der Pater hat euch gesagt, wonach ihr Ausschau halten sollt! Und wehe, ihr laßt mir etwas aus. Wenn ich nachher nur eine Truhe verschlossen finde …«
    »Das könnt Ihr nicht tun«, sagte Richard und merkte erst eine Sekunde später, daß er nur leise gemurmelt hatte. »Das könnt Ihr nicht tun!« wiederholte er, fast schreiend.
    »Wenn du nicht endlich aus dem Weg gehst …«
    »Ihr faßt meine Mutter nicht an!«
    »Hör zu, du Balg, wir haben keine Anweisungen, was dich betrifft, aber ich zeige dir gerne, wie ich mit frechen Kindern umgehe!«
    »Versucht es doch, Ihr …«
    »Richard!« Zobeida kam langsam die Treppe herunter. »Richard, nicht.« Sie sah Epelstein an. »Ich werde mit Euch gehen, keine Sorge«, sagte sie bitter, »nur laßt meinen Sohn in Ruhe. Ihr gestattet vielleicht auch, daß ich mich vorher etwas schicklicher herrichte.« Der Blick des Anführers wanderte unverhohlen von ihrem Gesicht über ihre ganze Figur.
    »Aber warum denn«, entgegnete er spöttisch. »Für eine Hexe ist das genau passend. Immerhin …« Er deutete auf Richard. »Er kann Euch einen Umhang holen. Aber Ihr rührt Euch nicht

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