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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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kaum mehr die Arme heben, geschweige denn, jemanden zurückstoßen. Mindestens zwei Leute hoben ihn auf und trugen ihn aus dem Raum, immer weiter, bis ihm der kühle Luftzug sagte, daß er sich außerhalb des Palazzos befinden mußte. Man ließ ihn fallen, und der Schlamm, in dem er sich wiederfand, bewies, daß man ihn an den Tiber gebracht hatte, nicht auf die Straße. Eine Fackel erhellte auf einmal seinen immer enger werdenden Blickwinkel. Er erkannte die beiden Gesichter, die sich über ihn beugten.
    »Einerseits«, sagte Fabio Orsini spöttisch, »möchte ich mich für dieses Vergehen gegen die Gastfreundschaft entschuldigen, andererseits hätte ich Euch kaum zu mir eingeladen, wenn mich nicht mein Freund Vittorio darum gebeten hätte. Es ist mir schon peinlich genug, mit Krämern wie den Medici verwandt zu sein, und ich verkehre nur mit ihnen, wenn es sich nicht vermeiden läßt. Obwohl ich zugeben muß, daß Ihr nicht schlecht ausseht – für einen Krämer.«
    »Ihr fragt Euch vielleicht, warum Ihr nicht schon längst tot seid, Tedesco«, sagte Vittorio de'Pazzi im selben Plauderton. »Die Antwort ist, ich möchte Euch an demselben Gift sterben sehen, das ich Euretwegen nicht diesem Dreckskerl Lorenzo verabreichen konnte, und es wirkt langsam. Sehr langsam. Ihr werdet genügend Zeit haben, zu bereuen, daß Ihr mich daran gehindert habt, meine Familie an den Medici zu rächen, und rechnet nicht damit, daß Euch jemand zu Hilfe kommt. Eurem Fackelträger ist mitgeteilt worden, daß Ihr Euch mit einer der Zigeunerinnen vergnügt, und sollte es überhaupt jemand kümmern, was aus einem Fremden wird, dann werden sie glauben, sie hätte Euch ausgeraubt und umgebracht.«
    Bisher hatte er offensichtlich neben seinem Opfer gekniet, denn jetzt entfernte sich sein Gesicht wieder. Er stand auf und versetzte Richard einen heftigen Tritt. »Um das Gesagte etwas glaubhafter zu machen.«
    »Richtig. Was täte ich nur ohne dich, Vittorio«, stimmte Fabio Orsini zu und räumte Richard nicht eben sanft die Taschen aus. Seine Stimme verschwand irgendwohin in die Nacht, als er dem Beispiel seines Freundes gefolgt war und sich mit einem Tritt verabschiedet hatte.
    »Ich fürchte, das war's dann. Addio, bello .«
    Richard blieb zurück, das Gesicht in den feuchten Schlamm des Flußufers gepreßt. Er atmete unregelmäßig, sog die Nachtluft tief ein, obwohl es ihm Schmerzen bereitete, aber das feurige Glühen in seinem Hals bewies ihm zumindest, daß noch Leben in ihm war.
    Das Entsetzen wollte und wollte ihn nicht übermannen. Statt dessen mußte er gegen die Versuchung ankämpfen, zu lachen. Unter allen Todesarten konnte er sich keine absurdere ausmalen, als hier in Rom an Gift zu sterben, einer alten Fehde wegen, mit der er nicht das geringste zu tun hatte. Wie unsinnig die Prophezeiungen von allen Seiten doch gewesen waren. Nicht die Inquisition, nicht das Feuer hatte ihn schließlich eingeholt, sondern einer dieser sinnlosen italienischen Vendetta-Feldzüge. Ob die Toten auf ihn warteten? Er versuchte sich vorzustellen, bald seine Mutter wiederzusehen, und konnte es nicht. Statt dessen drängten sich ihm andere Bilder auf: Saviya mit dem Messer in der Hand, Mario, der auf der Straße nach Ferrara ein Lied sang, Sybille und Ursula vor dem Kaminfeuer, Jakob über das Schachbrett gebeugt, immer einen Zug voraus.
    Es tut mir leid, sagte er zu ihnen allen, während sich seine Lippen tonlos bewegten. Er versuchte noch einmal, eine Erinnerung an seine Kindheit zu finden, und stieß statt dessen auf das Feuer, das brannte, brannte … Er blinzelte. Licht näherte sich ihm, wirkliches Licht, das auf einige bunte Kleider und braune Haut fiel. Saviya hatte ihm ein paar Ausdrücke ihrer Sprache beigebracht, nicht sehr viele, aber mit der letzten Kraft seines schwindenden Bewußtseins stieß er krächzend hervor: »Helft mir!«
    Dann umgab ihn die Dunkelheit, und er spürte nichts mehr.

34
    Es WAR DER S CHMERZ , der ihm bewies, daß er noch lebte. Kein Teil seines Körpers, der nicht von unerträglichen Qualen gepeinigt wurde. Er konnte weder Zunge noch Kiefer bewegen und versuchte mühsam, um Atem zu ringen. Er erbrach sich. Plötzlich konnte er sich den Ort vorstellen, an dem er sich befinden mußte: eine der Folterkammern, deren sich die heilige Inquisition bediente. Er hatte mit einer der Hexen die Rollen vertauscht, um Studien für sein Buch zu schreiben, sein Buch … Aber war es nicht schon veröffentlicht?
    Der widerliche

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