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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Geschmack von Erbrochenem wurde von einer kaum weniger widerlichen, bitteren Flüssigkeit verdrängt, die er eingeflößt bekam. Er versuchte, auszuspucken, aber jemand hielt ihm den Mund zu. Irgendwo spürte er auch die Klinge eines Messers in seinem Fleisch und fragte sich, ob dies alles zu einer peinlichen Befragung gehörte. Doch es wurden keine Fragen gestellt, und er versank erneut für kurze Zeit in der erlösenden Dämmerung. Dann brachte ein andauerndes Gewitter von Schlägen in sein Gesicht ihn wieder zu sich.
    »Verdammt sollst du sein, Riccardo«, rief eine Stimme, die er gut kannte, »du wirst leben! Erinnerst du dich? Du wirst leben!«
    Aber er konnte die Eindrücke nicht sinnvoll zusammenfügen. Er wußte auch nicht, wer Riccardo war. Er war Richard Artzt, soeben aus Wandlingen in Augsburg angekommen, und er versuchte verzweifelt, sich in dem riesigen Gebäude am Rindermarkt zurechtzufinden. Irgend jemand erwartete ihn dort dringend. Er suchte nach der richtigen Tür, aber er stieß nur auf Gänge und endlose Reihen von Pforten, hinter denen weitere Gänge lauerten.
    Es kam noch mehr von der bitteren Flüssigkeit. Diesmal schluckte er sie widerspruchslos, dann nahm ihn das schwarze Nichts wieder auf, und auch die immer schwächer werdenden Schläge konnten ihn nicht zurückholen.
    Das erste, was Richard auffiel, als er mühsam ein Auge öffnete, war schmerzendes Licht, das von oben auf ihn herabfiel. Sofort ließ er das Augenlid wieder sinken. Seine Hände ertasteten einen weichen, üppigen Stoff, der ihn bedeckte. Warum eigentlich? War es nicht Sommer?
    Dann wurde ihm bewußt, daß es trotz des flackernden Lichts, das sein Gesicht erwärmte, recht kühl war. Vorsichtig öffnete er noch einmal die Augen, alle beide, und erkannte, daß das Licht von einigen Fackeln herrührte, die mit Eisenringen nahe der Decke angebracht waren. Die Decke kam ihm seltsam unregelmäßig vor, und als er die Hand zur Seite ausstreckte, stieß er auf eine ähnlich rauhe Fläche.
    Er versuchte sich aufzusetzen, und erst, als ihm das nicht gelang, wurde ihm bewußt, was geschehen war. Er war noch am Leben. Doch wo befand er sich? In einem Gefängnis?
    Als er den Kopf zur Seite drehte, langsam, weil jeder Muskel in ihm verletzt zu sein schien, sah er sie. Sie schlief, in einen breitlehnigen Stuhl gekauert, der viel zu groß für sie war und ebensowenig in diese merkwürdige Umgebung zu passen schien wie sie selbst. Ihr Haar war wieder kurz geschnitten, und soweit er dies unter der Decke erkennen konnte, in die sie sich eingehüllt hatte, trug sie auch wieder Hosen.
    Lange Zeit sagte er nichts, denn die ungläubige Freude, sie wiedergefunden zu haben, machte ihn sprachlos. Er blieb ganz in ihren Anblick versunken, und erst als sie selbst die Augen öffnete und sich ein wenig reckte, sprach er, flüsterte ihren Namen.
    »Saviya.«
    Er befand sich in den alten römischen Katakomben, in einem Gewirr aus Höhlen, Kellern und Grüften, welche angeblich schon lange nicht mehr begehbar waren. Noch immer war er nicht fähig, länger als etwa zwei Stunden wach zu bleiben. Saviya war meistens bei ihm, hin und wieder auch einige andere Zigeuner, und sie sprachen mit ihm, um ihn bei Bewußtsein zu halten.
    »Du bist hier sicher«, sagte Saviya, »dies ist ein Königreich für sich, und niemand von dort oben wagt sich hierher.« Ärgerlich fügte sie hinzu: »Das sieht dir ähnlich, Riccardo, ohne Vorsichtsmaßnahmen bei einer der mörderischsten Familien in Rom zu speisen. Ich möchte wissen, wozu du deinen Verstand hast!«
    Gelegentlich sah er auch hellhäutige, blonde oder braunhaarige Menschen, die ebenso wie die Zigeuner entweder völlig verkommen oder in prunkvoller, aber schlecht zusammenpassender Kleidung auftauchten. Offensichtlich nutzten die lichtscheuen Bewohner Roms die Katakomben als Versteck. Er selbst blieb nicht in der Höhle, in der er zuerst aufgewacht war; als er das nächste Mal zu Bewußtsein kam, lag er in einem kleinen, fast viereckigen Raum, der zum Teil noch mit verblaßten Mosaiken ausgekleidet war.
    »Ich dachte, das gefällt dir besser, und außerdem ist es ruhiger und abgelegener«, erklärte Saviya. Er fragte sie, wie sie ihn gefunden habe, und sie entgegnete ein wenig scharf, das sei unvermeidlich gewesen. Seit Florenz hatte sie offensichtlich nicht unter Entsagung gelitten, denn ihre schlanke Gestalt hatte nichts mehr von ihrer ehemaligen Magerkeit, und die Kleider, die sie trug, wirkten keineswegs alt und

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