Die Puppenspieler
gebraucht.
»Saviya«, flüsterte Richard, »ich wollte dir nur sagen, daß …«
Sie hielt ihm den Mund zu. »Entschuldige dich nicht, Riccardo, das ist nicht notwendig. Aber mach auch keinen Fehler. Ich helfe dir, weil du mir geholfen hast und weil du durch unser gemeinsames Blut Teil meines Stammes bist. Nicht mehr, verstehst du?«
Er verstand. Und er war nicht in der Lage, etwas daran zu ändern, selbst wenn er es gewollt hätte. Vielleicht, dachte er, war es auch am besten so; die Schwierigkeiten zwischen ihnen hatten schließlich angefangen, als sie Liebende wurden.
»Wolltest du nicht von den Städten fernbleiben?« fragte er sie, und sie schüttelte energisch den Kopf.
»Von Florenz und nur von Florenz, und ich wollte kein Stadtleben führen. Und das tue ich auch nicht. Ich bin frei hier, in Rom, und gleichzeitig bin ich sicher vor den Leuten, die mit der einen Hand um unseren Zauber bitten und mit der anderen Steine nach uns werfen.«
»Du hältst dich also noch immer für eine Hexe«, stellte er resignierend fest, und sofort stahlen sich Mißtrauen und Feindseligkeit in ihre grünen Augen.
»Ich bin eine Hexe, Riccardo.«
Er entgegnete nichts, auch nicht, als sie tatsächlich Worte des Zaubers für seine Heilung über ihn sprach.
Als er sich dann das erste Mal über eine Waschschüssel beugen konnte, um sich selbst zu reinigen, schaute ihm ein Fremder aus dem Wasser entgegen. Daß er an Gewicht verloren hatte, daß seine Wangenknochen hervortraten, und seine Augen in tiefen, dunklen Höhlen lagen, überraschte ihn nicht sonderlich, aber der dichte dunkelbraune Bart, der in seinem Gesicht stand, machte ihm abrupt klar, daß mehr Zeit vergangen sein mußte, als er angenommen hatte.
»Saviya, wie lange bin ich hier?«
»Oh, ein paar Wochen«, antwortete sie gleichgültig.
Zuerst war er entsetzt. Zink mußte ihn für tot halten und sein Verschwinden inzwischen schon Jakob und der Familie gemeldet haben; denn wer mochte wissen, wieviele von Steinen beschwerte Körper nie wieder aus dem Tiber auftauchten?
Dann, als er weiter darüber nachdachte, sah er mit einem Mal die Verlockung der Freiheit, die in dieser Möglichkeit lag. Natürlich würde sein Tod einigen Leuten Kummer bereiten, aber Mario hatte seinen Glauben und seine Bücher, Sybille hatte Jakob, Hänsle und Ursula ihre eigene große Familie. Er wäre nie in der Lage gewesen, das Gemisch aus Dankbarkeit, Schuldgefühlen und Zuneigung, das ihn an Jakob band, hinter sich zu lassen und nicht mehr für das Unternehmen zu arbeiten, aber wenn Jakob glaubte, er sei tot, dann wäre er wahrhaftig frei. Frei von der Vergangenheit, frei von der Familie, frei von seinen Schulden, zwar auch frei von allem, was ihm je etwas bedeutet hatte, aber ebenfalls frei von allen fesselnden Bindungen. Was die Herren Orsini und Pazzi ihm tatsächlich geschenkt hatten, war die Möglichkeit, ein völlig neues Leben zu beginnen.
Der Gedanke an die Männer, die ihn beinahe ermordet hatten, brachte ihn der Wirklichkeit wieder etwas näher. Nun fühlte er den Wunsch in sich aufsteigen, die beiden zahlen zu lassen, und zwar in ihrer eigenen Münze. Eine Anzeige gegen einen Orsini? Lächerlich. Er dachte an das Leben der beiden, an die Tritte, an das Gift und stellte sich ihre Gesichter vor, verzerrt in Todesangst. Langsam begriff er die Gesetze der Vendetta, und er war immer ein guter Schüler gewesen.
Die Phasen der Bewußtlosigkeit wurden abgelöst von Tagen und Nächten, in denen Richard nicht mehr schlafen konnte und ruhelos auf die Mosaiken starrte, die er inzwischen in allen Details kannte. Am schlimmsten war es, wenn sie sich zu Gesichtern formten. Er konnte sich nichts vormachen, er wußte, wer alles um ihn trauern würde. Doch der Wunsch nach Freiheit gewann immer wieder die Oberhand.
Anfangs ließ Richard sich in der trägen Unwirklichkeit des Höhlenlebens treiben. Dann festigte sich in ihm der Entschluß, wieder zu Kräften kommen zu wollen, um nicht darüber nachdenken zu müssen. Er begann, seinen abgemagerten, ausgelaugten Körper wieder zu ertüchtigen. Schon bald kam er sich in seiner Kammer wie ein eingesperrtes Tier vor und fragte Saviya, ob er seine Spaziergänge auf die Katakomben ausdehnen könne.
»Nicht alleine«, entgegnete sie kopfschüttelnd. »Du bist noch zu schwach, Riccardo.«
»Ich wollte nur wissen«, gab Richard mit einem Hauch von verletzter Eitelkeit zurück, denn langsam begann es ihn zu stören, von Saviya ständig wie ein krankes
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