Die Puppenspieler
Vito noch nie begegnet zu sein, doch irgend etwas an seiner Haltung, etwas in seinem Tonfall kam ihm merkwürdig vertraut vor. Er nahm sich vor, später darüber nachzugrübeln, denn die beinahe erschreckende Offenheit, mit der hier gerade geredet wurde, erforderte seine ganze Aufmerksamkeit.
Fabio zuckte die Achseln. »Die Colonna unterstützten della Rovere, und wir tun immer das Gegenteil. Aber Santino hat recht. Der Borgia wird noch unerträglich werden, wenn man ihm nicht zeigt, wer hier in Rom das Sagen hat. Ich zumindest denke nicht daran, mich von einem päpstlichen Ordnungshüter entwaffnen zu lassen. Und wenn er es wagen sollte, unserer Familie das Amt des Gonfaloniere der Kirche zu entziehen, nur um einen seiner Bastarde damit zu betrauen …«
»Er wird es wagen, verlaß dich darauf«, unterbrach ihn Santino Orsini. »Onkel Niccolo hat mir erzählt, daß er dem Kardinalskollegium bereits seine Kandidaten für Neuernennungen unterbreitet hat. Unter den neuen Kardinälen sind: Juan Borgia, sein Neffe, Cesare Borgia, sein Sohn, und Alessandro Farnese, Giulias Bruder. Seinen jüngeren Bastard, der auch Juan heißt, hat er vom König von Aragon bereits zum Herzog von Gandia machen lassen. Und wie lange glaubst du, wird es dauern, bis einer von seinen Söhnen auf das Amt des Gonfaloniere schielt?«
Richard hätte nicht genau sagen können, warum, aber er konnte die schwüle Atmosphäre von Gefahr fast körperlich spüren. Vor allem störte ihn, daß die Orsini vor einem Fremden gar nicht so offen hätten reden dürfen. Oder verließen sie sich darauf, daß das Wort eines Fremden nichts galt? Er bemerkte, daß Vito ihn beobachtete, und zerbrach sich wieder den Kopf, woher er diesen Mann kennen konnte. Nachdenklich nippte er an dem Wein, dem der unglückliche Orso Orsini so reichlich zusprach.
»Sagt uns, Riccardo«, unterbrach Fabio Orsini seine Gedanken, »wie rächt in Eurem Land eine Familie ihre Schmach?«
»Bei uns sind die Gesetze der Vendetta weniger blutig«, entgegnete Richard mit einem leichten Lächeln. »Man bringt sich nicht gegenseitig um, sondern ruiniert einander das Geschäft.«
Die jungen Orsini ließen spöttische Ausrufe hören, bis auf Fabio und seinen Freund, die beide schwiegen. »Bah! Nur Fische können mit so etwas zufrieden sein«, sagte Santino Orsini. »Für uns gibt es keine Befriedigung … außer durch den Tod.«
Richards unbestimmtes Mißtrauen verdichtete sich zu quälendem Argwohn. Aber Fabio lachte, und er versuchte sich etwas zu entspannen. Welche Gefahr sollte ihm hier schon drohen? Schließlich hatte er die Orsini noch nie beleidigt.
»Genug davon«, sagte Fabio gutgelaunt. »Und auch genug von den Borgia und anderen unerquicklichen Dingen. Ich habe eine kleine Unterhaltung für uns alle vorbereitet.«
Er klatschte in die Hände, und seine Diener löschten fast alle Fackeln, die den Raum bisher erhellt hatten. Eine Trommel begann zu schlagen, und in Richard krampfte sich alles zusammen, als drei buntgekleidete Zigeunermädchen hereinliefen, brennende Holzstäbe in ihren Händen. Keine von ihnen sah auch nur entfernt so aus wie Saviya, aber das flackernde Licht, die fliegenden schwarzen Haare und der quälende, lockende Tanz, all das setzte mehr Erinnerungen in ihm frei, als er ertragen konnte. Vielleicht war etwas mehr von dem süffigen Frascati doch keine schlechte Idee. Sofern Orso Orsini etwas übriggelassen hatte.
Er versuchte, den Rhythmus der Trommeln aus seinem Kopf zu vertreiben. Schon nach erstaunlich kurzer Zeit vernahm er nur noch ein gedämpftes, gleichmäßiges Dröhnen, und die Mädchen schienen zu vielfarbigen Flecken in der Dunkelheit zu verschmelzen. Der Wein in seinem Mund schmeckte plötzlich schal. Irritiert kniff Richard die Augen zusammen und sah dabei zufällig zum anderen Tischende, wo Fabios Freund Vito saß. Das Licht einer Fackel erhellte flüchtig das Gesicht des Mannes, nur ganz kurz, zeichnete Schatten, die wie eine Maske wirkten, und Richard erstarrte.
Plötzlich war ihm wieder eingefallen, wo er Vito begegnet sein könnte.
Du bist es doch, ich habe mich nicht geirrt, Vittorio de'Pa – .
Er versuchte aufzustehen und merkte, daß seine Beine ihm den Dienst versagten. War es möglich, daß er schon so viel getrunken hatte? Von hinten ergriffen ihn plötzlich zwei Hände, und er hörte Fabio Orsini fast zärtlich in sein Ohr flüstern: »Es ist Zeit für Euch zu gehen, Riccardo.«
Richard versuchte sich zu wehren, aber er konnte
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