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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Kind behandelt zu werden, »ob die anderen Bewohner etwas dagegen hätten.«
    »Nein, gewiß nicht – sie wissen, daß du einer von uns bist, und auch die Königin ist einverstanden. Ohne ihre Erlaubnis hätte ich dich gar nicht hierherbringen dürfen.«
    Es war das erste Mal, daß Richard von der Frau hörte, die Saviya und die übrigen Nachtgeschöpfe, die hier im unterirdischen Reich von Rom ihre Bleibe hatten, nur ›die Königin‹ nannten. Im Moment allerdings sehnte er sich nur danach, möglichst bald wieder stark genug zu sein, um ans Tageslicht zurückzukehren. Er versuchte, sich an die Waffenübungen zu erinnern, die der alte Soldat in Augsburg ihm und Hänsle damals abverlangt hatte, und bat Saviya, einen Freund zu suchen, der bereit wäre, mit ihm zu üben.
    »Ich wäre es«, sagte sie gespielt großmütig und wehrte seine Einwände ab, bis Richard schließlich erschöpft meinte: »Selbst wenn wir nur Stöcke benutzen – ich könnte nicht auf dich einschlagen, Saviya.«
    »Selbstverständlich kannst du. Denk nur an all die Gelegenheiten, wo du wütend auf mich warst.«
    Es erwies sich, daß sie recht hatte. Und mehr noch, in Richard stieg der unangenehme Verdacht auf, daß sie sich unter anderem deswegen zur Verfügung stellte, weil sie ihn schonen wollte und glaubte, daß er einer Begegnung mit einem männlichen Kämpfer, ob Zigeuner oder nicht, nicht gewachsen wäre.
    Er machte bald die Erfahrung, daß Saviya mit der Behauptung, sie könne sich sehr gut selbst verteidigen, nicht übertrieben hatte. Wenn sie kämpfte, dann nicht mit den gelangweilten Bewegungen altgedienter Soldaten, sondern mit dem rücksichtslosen, leidenschaftlichen Ehrgeiz zu gewinnen. Daß sie ihn besiegte, krank oder nicht, spornte ihn fast so sehr an wie sein Zorn auf Fabio Orsini und Vittorio de'Pazzi. Langsam wurde er besser.
    »Du willst wirklich lernen, wie man einen Menschen umbringt, nicht wahr«, stieß Saviya einmal keuchend hervor, nachdem es Richard ein paarmal gelungen war, ihre Deckung zu durchbrechen.
    Erst später, als sie versöhnt und erschöpft auf dem Boden saßen und sich die schmerzenden Knöchel rieben, antwortete er: »Ja und nein. Eigentlich wollte ich jemanden umbringen, doch inzwischen ist mir etwas viel Besseres eingefallen. Aber dann darf ich mich nicht noch einmal überrumpeln lassen.«
    Sobald er wieder mehr Ausdauer hatte, führte Saviya ihn durch die endlosen Gänge zu den Kellergewölben, in denen die gemeinsamen Mahlzeiten stattfanden. Nicht selten handelte es sich dabei um das Untergeschoß eines Palazzo, und gelegentlich erlebte es Richard auch, daß sie in den Palazzo selbst eindrangen.
    »Woher wißt ihr, welches Gebäude leer ist?«
    Saviya warf ihm einen etwas spöttischen Blick zu. »Das sind unsere Kunden. Fast jeder Reiche in Rom braucht einmal eine Hexe – oder einen Dieb – oder einen Mörder. Wir kennen sie, aber sie kennen uns nicht.«
    Jetzt, da es ihm besser ging, verschwand Saviya manchmal tagelang, und so lernte Richard auch die finsteren Seiten seines seltsamen Asyls kennen. Hin und wieder begegnete er Männern, die eine Leiche trugen, ohne daß er je Zeuge eines Mordes wurde. Als er einen der Zigeuner danach fragte, bekreuzigte sich der Mann und spuckte auf den Boden.
    »Niemand würde je hier töten. Unsere Gesetze verbieten es, und sie würde jeden sofort strafen, der dagegen verstößt.«
    Je weiter seine Genesung fortschritt, desto mehr drängte es Richard, seinen Racheplan umzusetzen. Dabei wußte er genau, daß ihm kein Fehler unterlaufen durfte. Zunächst mußte er so viel wie möglich über die Lebensgewohnheiten seiner Feinde in Erfahrung bringen. Einmal mehr bewährte sich die dunkle Welt Roms, denn jeder hier kannte die Orsini, und auch Vittorio de'Pazzi. Aus dem, was man ihm erzählte, setzte Richard allmählich ein immer klarer werdendes Bild zusammen. Vittorio de'Pazzi war es seinerzeit offenbar gelungen, sich mit einem Großteil des Vermögens nach Rom abzusetzen, als die Verschwörung seiner Familie in Florenz mißlang. Das war auch der Grund, warum ihn einige der Orsini, ihren Verbindungen zu den Medici zum Trotz, so schätzten. Hinzu kam, daß der mißtrauische und vorsichtige Vittorio sein Vermögen in Rom stetig vergrößern konnte, manchmal auch durch das gewaltsame Ausschalten mißliebiger Konkurrenten. Gerade die jungen Orsini, vor allem Fabio, befanden sich häufig in Geldnot, und ein reicher Freund war daher sehr wichtig für sie.
    Eines Abends begann

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