Die Puppenspieler
Straßen, der Cesares Umhang hob und senkte wie die Schwingen eines erregten Vogels. Er verbeugte sich in Richtung der päpstlichen Tribüne, dann gab er mit der Hand ein Zeichen. Das Gitter des Käfigs wurde von zwei Jungen gelöst, die hastig zur Seite und hinter die Absperrung sprangen, und Cesare Borgia stand allein dem Gebirge aus Fell und Muskeln gegenüber, das jetzt aus dem Käfig herausbrach. Selbst Richard, dessen Abneigung gegen den Sohn des Papstes noch lange nicht gänzlich verflogen war, mußte zugeben, daß der Anblick etwas Eindrucksvolles an sich hatte.
Langsam löste Cesare den Umhang von seinen Schultern, breitete ihn aus und wendete ihn dem Stier zu. Erst als das Tier dem schreienden Rot entgegenlief, fragte sich Richard, mit was der Borgia eigentlich bewaffnet war. Schließlich entdeckte er einen der neumodischen Degen an der Seite des Mannes.
Die Römer stöhnten, während Cesare wieder und wieder in letzter Sekunde den Hörnern auswich, die in den flatternden Mantel hineinstießen, den er nur wenige Handbreit von seinem Körper entfernt bewegte. Als er merkte, daß er selbst den Atem anhielt, fragte Richard ärgerlich laut, nur um den Zauber zu brechen: »Was macht er da eigentlich?«
Saviya legte einen Finger auf die Lippen. »Er reizt den Stier. Weißt du, ich habe so ein Spiel schon einmal erlebt, als mein Stamm in Kastilien war. Meistens machen es aber mehrere Männer.«
Inzwischen hatte Cesare seinen Degen gezogen und verwundete den Stier, doch zu Richards Verblüffung zielte er dabei nicht auf das Herz oder die Schlagader, sondern nur auf Stellen, die dem Tier kaum gefährlich werden konnten. Nur einige dunkle Flecken auf dem Fell, das Brüllen und die Wut des Stieres verrieten, daß dieser unbezwinglich scheinende Koloß langsam Blut verlor.
Richard sah zur päpstlichen Tribüne hinüber. Einige der Kardinäle wirkten abgestoßen und empört. Die Mehrzahl jedoch schaute ebenso gebannt wie das Volk auf den Platz, und der Papst machte sich keine Mühe, sein Entzücken zu verbergen. Mit vornübergebeugtem Oberkörper saß er da und feuerte seinen Sohn an. Cesares Stöße veränderten sich; nun benutzte er seinen Degen wie einen Speer, und Richard entging nicht, daß die Gereiztheit des Stieres mit jedem Stoß zunahm. Mehr als einmal hätte Richard schwören können, daß die dunkle, auf dem riesigen Platz fast schmal wirkende Gestalt des Mannes im nächsten Augenblick von den gewaltigen Hörnern aufgespießt werden würde.
Während der Stier sich zu einem neuen Anlauf zurückzog, blickte Cesare zur päpstlichen Tribüne hinüber. Der Papst nickte. Noch einmal entfaltete der junge Mann das Purpur seines Mantels zu voller Weite. Dann hob er die Klinge langsam, sehr langsam in die Waagrechte. Der Stier stürmte heran, doch noch einmal schaute Cesare in den Kreis der Zuschauer. Richard erstarrte. Es war natürlich unmöglich, doch es schien, als nicke der Papstsohn ihm zu. Nein, nicht ihm. Aber jemandem, der unmittelbar neben ihm stand.
Richard wandte sich an Saviya, und was er sah, ließ ihn eins werden mit dem Stier, der mit seinem letzten Sprung sein Herz der Spitze des Degens aussetzte. Saviya beobachtete Cesare Borgia mit einem Ausdruck, der Richard nur allzu bekannt war. Es war nicht die Aufregung eines Zuschauers, auch nicht die Schwärmerei eines Mädchens, die ihn zwar in Wut versetzt hätte, die er aber hätte billigen können. Es war das halb spöttische, halb zärtliche Lächeln, das eine Frau ihrem Liebhaber schenkt, wissend und sehr vertraut.
Er hatte vorgehabt, diesmal völlig gelassen und sachlich mit ihr zu sprechen, aber er fühlte mit jeder Sekunde mehr das Bedürfnis, sie anzuschreien und ihr die Hände um den Hals zu legen. Das hatte schon angefangen, als er Mario gebeten hatte, sie beide allein zu lassen.
»Aber warum denn«, hatte Saviya, die außer einer kühlen Begrüßung noch keine fünf Worte mit Mario gewechselt hatte, sarkastisch gesagt. »Unser verehrter Priester hier ist doch wohl an das Beichtgeheimnis gebunden. Er wird schon nichts verraten, falls du unbedingt vorhast, hier über die Welt dort unten zu reden.«
»Nein, das habe ich nicht«, hatte er mühsam beherrscht erwidert; Mario, Gott segne ihn, war taktvoll genug gewesen, trotzdem sofort zu verschwinden. Jetzt standen sie sich schweigend in dem kleinen Raum gegenüber, der Richards römische Schreibstube darstellte. Ihm fielen hundert Kleinigkeiten an ihr auf, die er vorher ignoriert hatte; der
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