Die Puppenspieler
Mario in Erzählungen nie ganz hatte vermitteln können.
In diesen Tagen beschäftigte sie aber vor allem die Gegenwart und die Zukunft.
Richard war sich durchaus bewußt, daß Mario mit jedem Angriff auf die Moral des Unternehmens und auf Richards Leben in Rom sein Gewissen treffen wollte, doch er war entschlossen, Mario zu beweisen, daß dieses Schwert zwei Schneiden hatte.
»Gut, mag sein, daß ich für jemanden arbeite, der skrupellos und geldgierig ist«, sagte er einmal, »aber das ist schließlich sein Beruf. Er ist Kaufmann, er hat das Recht dazu. Wie ist das mit deinem Herrn? Oh, ich meine nicht den kleinen Kardinal Giovanni, der ist harmlos, noch jedenfalls. Ich meine, wie ist das mit«, er betonte jede Silbe, »dem Heiligen Vater? Seine Heiligkeit der Papst? Der Mann, dem du dienst, und ein großer Teil des Kardinalskollegiums dazu, das sind alles Leute, die mindestens so skrupellos und geldgierig sind wie Jakob Fugger, und es würde mich auch nicht wundern, wenn sie dabei gelegentlich über Leichen gingen. Und verläßt du deswegen etwa die Kirche?«
»Die Kirche ist mehr als nur ein Papst oder auch ein paar Kardinäle«, antwortete Mario unerschütterlich. »Erinnere dich an den ursprünglichen Sinn des Wortes. Ecclesia, Gemeinschaft. Die Gemeinschaft der Gläubigen. Natürlich braucht sie Reformen. Aber sie wird noch leben, wenn die Gebeine von Rodrigo Borgia längst in der Erde vermodern, weil sie das Wort Gottes weitergibt. Du wirst kaum behaupten, daß Euer Unternehmen das tut!«
»Das Wort Gottes vielleicht nicht«, konterte Richard, »aber wohl das der Kirche. Ablässe, um genauer zu werden. Mit der gütigen Genehmigung des Papstes.«
Zu seiner Überraschung lachte Mario. »Damit wären wir wieder am Ausgangspunkt, nicht wahr, Riccardo? Wer ist schuldig – derjenige, der besticht, oder derjenige, der sich bestechen läßt? Die Henne oder das Ei?« Seine blauen Augen glänzten spöttisch, als er hinzufügte: »Du hattest natürlich nie das Bedürfnis nach Absolution, wie?«
»O nein«, sagte Richard. »Nicht noch einmal, Mario. Ich weiß genau, worauf du hinauswillst. Aber diesmal klappt es nicht. Ich werde nicht noch einmal beichten.«
Er war froh darüber, Mario in seiner Nähe zu haben. Anders wäre der Kontrast zum vergangenen Jahr, als die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr der Familie noch einmal die Gelegenheit geboten hatte, ihre ganze Anziehungskraft auf ihn auszuüben, wohl unerträglich kraß ausgefallen. Er hatte sich überlegt, ob er Saviya bitten sollte, sich in diesen Tagen aus ihrer Welt zwischen Katakomben und Palazzi, zwischen Aberglauben und höchst realen Gefahren zu lösen und zu ihm zu kommen, eine Woche nur, aber sein Stolz hinderte ihn daran. Er brachte es nicht über die Lippen. Statt dessen fragte er sie, ob sie sich mit ihm und Mario die Neujahrsfeier auf dem Petersplatz ansehen wolle.
»O ja«, sagte Saviya bester Laune. »Ich weiß schließlich, was wir dort erleben werden.«
Das verwunderte ihn, denn obwohl Gerüchte umgingen, daß der päpstliche Hof dieses Jahr eine Überraschung plante, mußten die genaueren Einzelheiten das bestgehütete Geheimnis von Rom sein. Aber, dachte er mit Erbitterung, wer als Hexe bei einem guten Teil des zaubersüchtigen römischen Adels aus- und einging, hörte wohl viele sogenannte strenge Geheimnisse.
»Mario«, sage er, Saviya im Sinn, bevor sie sich am Neujahrstag auf den Weg machten, »ich habe in den letzten Wochen sehr viel über etwas nachgedacht. Ein Buch gegen die Hexenprozesse zu schreiben, wie wir es getan haben, genügt nicht. Glaubst du, man könnte den Papst davon überzeugen, die Bulle seines Vorgängers zu widerrufen?«
Richard war enttäuscht, als Mario noch nicht einmal zögerte, sondern sofort den Kopf schüttelte. »Und was ist mit deinem Gerede über Reformen?« fragte er herausfordernd.
»Ich habe nicht gesagt, daß man es nicht versuchen sollte, aber du hast mich nach den Erfolgsaussichten gefragt«, gab Mario zurück. »Riccardo, ist dir bei all den Büchern, den Abhandlungen, den Protokollen, die wir zusammen studiert haben, nie der Gedanke gekommen, daß die Hexenprozesse gar nicht das eigentliche Problem sind?«
»Nein«, sagte Richard schnell, zu schnell, und Mario lächelte schwach, ein bitteres Lächeln.
»Das dachte ich mir. Ich habe mich auch lange gegen diese Schlußfolgerung gewehrt, aber seit Fra Savonarola nach Florenz gekommen ist, wird es mir immer klarer. Fra Savonarola war nicht
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