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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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einige Zeit, um ihm die Wahrheit über Vittorio de'Pazzi und die Orsini zu entlocken, über die geheime Welt der Katakomben, und ahnte nicht, daß Richard ihm immer noch einiges verschwieg, wie zum Beispiel die Angelegenheit mit Heinrich Institoris. Doch was er hörte, entsetzte ihn. Man sah es ihm an, und Richard fühlte sich sofort zu einer angriffslustigen Verteidigung getrieben.
    »Es ist gut und schön, entsetzt zu sein, wenn man sicher in einer Klosterzelle sitzt, aber was hätte ich denn tun sollen? Die beiden anzeigen? Mich von ihnen beim nächsten Versuch erwischen lassen, und vielen Dank auch? Ich hatte keine andere Wahl, Mario. Schlag zu oder werde geschlagen.«
    »Ich bin nicht ganz der wirklichkeitsfremde Träumer, für den du mich offenbar hältst«, gab Mario scharf zurück. »Also erzähl mir nicht, du hättest keine Wahl gehabt. Selbstverständlich hattest du eine. Du hättest aus Rom verschwinden können, meinetwegen zurück nach Augsburg gehen, wenn du unbedingt weiter für deinen persönlichen Luzifer dort tätig sein willst, oder nach Florenz, wo ich dir sicher geholfen hätte. Statt dessen hast du dich dafür entschieden, einen Mord zu begehen, der eine weitere Kette von Morden auslösen kann und wird, und behaupte nicht, daß du das nicht gewußt hättest! Mord ist Mord, ganz gleich, ob du dabei selbst die Klinge geführt oder andere dazu getrieben hast. Was ist aus dem Riccardo geworden, der Menschen retten wollte? Glaubst du denn, Vittorio de'Pazzi, ja, Vittorio de'Pazzi in seiner ganzen Bösartigkeit oder irgendeiner der Orsini hätte weniger Recht auf Leben als einige von denen, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden?«
    Richard wollte etwas entgegnen, aber Mario hob die Hand und sagte eindringlich: »Mein Gott, Riccardo! Das sind nicht nur unschuldige Opfer. Du warst doch selbst bei einer schwarzen Messe dabei. Erinnerst du dich nicht mehr, damals hast du mich gebeten, Il Magnifico nichts von ihnen zu erzählen, und doch wußtest du, daß es sich bei diesem Haufen abergläubischer Narren auch um gefährliche Möchtegernmörder handelte. Verdienen solche Leute also nur Schonung, wenn sie Anschläge auf das Leben von Lorenzo de'Medici planen, aber nicht, wenn es um Riccardo Artzt geht?«
    Dieser Hieb traf, und Richard lag eine schnelle, verletzende Antwort auf der Zunge, etwas über Marios unterschiedliche Maßstäbe, denn hatte Lorenzo nach dem Mord an Giuliano nicht auch zugelassen, daß ein Großteil der Pazzi von den wütenden Florentinern erschlagen wurde? Aber ihm war nur allzu klar, daß es darauf nicht ankam, daß er am springenden Punkt vorbeiargumentieren würde. Also nahm er sich zusammen.
    »Mario, ich möchte nicht mit dir darüber streiten. Du hast recht, es war Mord, aber ich kann nicht sagen, daß es mir leid tut, daß ich es bereue. Es ist meine Schuld, das erkenne ich an, du hast sie mir vor Augen geführt, aber ich nehme sie auf mich, verstehst du? Ich will nicht, daß sie mir irgend jemand verzeiht. Also laß es dabei bewenden.«
    Eine lange Zeit sagte Mario nichts. Richard, der ihn beobachtete, erschien es, als ob der Freund gealtert wäre. In das dichte schwarze Haar schlichen sich bereits graue Strähnen, und die Linien um Augen und Mund vertieften sich deutlich. Dennoch war sein Profil, das er Richard zuwandte, so ebenmäßig wie das einer der vielen alten Statuen in Rom, und Richard dachte plötzlich, daß Mario ein gutaussehender Mann war. Er blinzelte überrascht. Mario war immer Mario gewesen, zuerst ein Ärgernis, dann eine Herausforderung und schließlich ein Freund, aber Richard konnte sich nicht erinnern, jemals bewußt Marios äußere Erscheinung wahrgenommen zu haben. Es irritierte ihn, daß er es jetzt tat. Er war auf absurde Weise erleichtert, als Mario endlich sprach und seine Gedanken wieder auf etwas lenkte, über das sie streiten konnten.
    »Mag sein, daß du dich in der Lage fühlst, deine Schuld zu tragen, Riccardo. Aber ich fühle mich ganz gewiß nicht in der Lage, sie dich tragen zu lassen!«
    Richard hätte Mario gerne Hänsle vorgestellt; doch Hänsle hatte Rom verlassen, nicht nur Rom, sondern Italien; ein Brief von Jakob und seinem Vater hatte ihn zurück nach Augsburg beordert. Richard konnte sich zwar nicht vorstellen, daß Hänsle und Mario viel gemeinsamen Gesprächsstoff gefunden hätten. Aber sie waren beide seine Freunde, und Hänsle verkörperte auf eine höchst lebendige Weise Augsburg, die Fugger und seine Vergangenheit, die er

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