Die Puppenspieler
der erste Prediger in unserer Stadt, der die Menschen begeistern konnte, Riccardo. Ein Jahr vor deiner Ankunft in Florenz predigte Fra Bernardino da Feltre im Duomo, aber er predigte nicht gegen Korruption, Luxus oder die Medici, wie Fra Savonarola, nicht gegen die Hexen, wie dein Inquisitor. Fra Bernardino predigte gegen die Juden. Genau siebzig Juden dürfen laut den Gesetzen der Republik Florenz in der Stadt leben, aber Fra Bernardino hatte kaum zu Ende gepredigt, da stürmten auf sein Geheiß hin bestimmt dreitausend Kinder und junge Leute los, um die Juden aus Florenz zu vertreiben.«
Richard begriff, worauf Mario hinauswollte, aber er wehrte sich dagegen. »Und was geschah dann?« fragte er bemüht sachlich.
»Die Signoria schickte die Stadtwache, und Lorenzo gab bekannt, daß die Bürger für jeden Schaden an jüdischem Leben oder Eigentum, den ihre Kinder anrichteten, bezahlen würden, notfalls mit dem Gefängnis. Das brachte die Eltern sehr schnell dazu, ihre Kinder wieder in die Häuser zu holen. Dann ließ Lorenzo Fra Bernardino von der Wache vor die Stadtmauern bringen und verbot ihm, Florenz je wieder zu betreten.«
»Ein glückliches Ende, und was weiter?« kommentierte Richard. Zum ersten Mal während ihres Gesprächs verlor Mario die Geduld.
»Es ist alles dasselbe, begreifst du das nicht? Die Hexen. Die Juden. Savonarola. Die Menschen brauchen einen Sündenbock. Gib ihnen jemand, der mit dem Finger auf etwas weist, ein Laster, ein Volk, ein paar unangenehme Frauen, und sie werden sich darauf stürzen!«
»Nein«, sagte Richard, »nein. Ich weigere mich, das zu glauben. Oder es hinzunehmen, wenn es so ist. Sündenböcke werden geschaffen, weil sie jemandem nützen. Deswegen kann sich dieser Prozeß auch umkehren.«
Er spürte, daß Mario ein wenig von seiner düsteren Sicherheit aufgab. »Vielleicht«, erwiderte Mario nach längerem Schweigen, »vielleicht. Aber nicht dieser Papst. Er hat ohnehin den größten Teil des Kardinalskollegiums gegen sich. Das Volk ist im Moment noch von ihm begeistert, aber das kann jederzeit umkippen. Ein solcher Papst führt keine Reformen durch, die den Klerus erschüttern würden. Und jetzt laß uns gehen, sonst sind wir heute abend noch nicht da.«
Als sie am frühen Nachmittag auf dem Petersplatz eintrafen, sah Richard sich vergeblich nach besonderen Vorbereitungen um. Es waren kreisförmige Tribünen für die Zuschauer aufgestellt worden, gewiß, aber er hatte so etwas wie einen gewaltigen Mummenschanz erwartet. Statt dessen war auf dem Platz lediglich Sand ausgestreut worden. Sollte die geheimnisvolle Veranstaltung sich letztendlich nur als simples Turnier entpuppen, als eines von den ritterlichen Spielen, wie sie König Maximilian so liebte? Er konnte sich vorstellen, daß der Papst es für sinnvoll hielt, den Römern die Stärke seiner neuen Schweizer Söldner vorzuführen, doch ein Turnier war kaum der geeignete Weg dafür. Oder war vielleicht geplant, die Orsini und die Colonna gegeneinander antreten zu lassen?
Die Menschen, die sich lachend und miteinander schwatzend auf die Tribünen drängten, wirkten auf alle Fälle entschlossen, das bevorstehende Volksfest zu genießen. Richard erinnerte sich an die ehrfürchtigen Zuschauermengen bei Maximilians Turnier in Augsburg und hielt Ausschau nach Lanzen, Knappen, nach dem Blinken einer Rüstung.
Doch in dem riesigen Stallwagen, der nun herbeigerollt wurde, befanden sich keine Pferde. Dort drinnen stand, schnaubend und sich wiederholt gegen die Gitterstäbe werfend, ein Stier. Kurz darauf zog der Papst samt Gefolge ein, und ein Herold verkündete, seine Eminenz der Kardinal von Valencia würde den päpstlichen Hof und die Bürger von Rom mit der Darbietung einer Corrida erfreuen.
Richard hatte noch nie einen Stierkampf gesehen, und die Römer, so schien es, auch nicht, denn die Ankündigung löste aufgeregtes Raunen aus, in dem die Ermahnung des Herolds unterging, auf keinen Fall die hölzernen Absperrungen zu mißachten. Mario runzelte die Stirn, und Richard konnte es sich nicht verkneifen zu wispern: »Keine Sorge, ich werde nicht fragen, ob das für einen Kardinal die angemessene Beschäftigung ist. Vergiß nicht, ich habe ihn kennengelernt.«
Cesare Borgia, wie er jetzt den Ring betrat, hatte in der Tat wenig Kirchliches an sich. Wieder war er in Schwarz gehüllt, mit Ausnahme des prächtigen purpurroten Mantelfutters. Der Winter war bisher sehr mild gewesen, doch heute fegte ein Wind durch die
Weitere Kostenlose Bücher