Die Puppenspieler
Zeit forderte Jakob Richard auf, sich die eingehenden Geschmeide, die für den Handel gedacht waren, anzusehen, erhielt zur Antwort, daß Richard dies schon getan habe, und fragte ihn nach seiner Meinung über die Qualität der einzelnen Stücke. Richard erfuhr nie, ob Jakob in dem einen oder anderen Fall auf ihn hörte, denn womit tatsächlich gehandelt wurde und in welchem Umfang, blieb ein Geheimnis, das nicht über die Grenzen des Kontors hinausdrang. Doch inzwischen hatte sich eine weitere Gewohnheit eingebürgert, die Veronika mehr und mehr Kopfschmerzen bereitete: Nach dem abendlichen Mahl nahm sich Jakob, falls er nicht noch Wichtigeres im Kontor zu erledigen hatte, regelmäßig die Zeit, mit Richard eine Partie Schach zu spielen, und unterhielt sich leise mit ihm auf Italienisch.
Richard wuchs noch immer, und Ende 1487, in seinem sechzehnten Lebensjahr, war er ein hochaufgeschossener Jüngling, dessen Gesichtszüge kaum mehr kindlich zu nennen waren. Durch die Arbeit mit dem Goldschmied hatten seine Bewegungen auch nichts von der Unsicherheit und Ungelenkigkeit vieler seiner Altersgenossen, sondern waren knapp und bestimmt.
»Du wirst zu schnell erwachsen«, sagte Sybille einmal und seufzte, denn sie dachte an den kleinen Jungen, der vor mehr als drei Jahren in Augsburg eingetroffen war. Andere machten insgeheim dieselbe Beobachtung, doch mit völlig anderen Schlußfolgerungen.
An einem Tag im Winter kehrte Richard spät in der Nacht in seine Kammer zurück und fand die Magd Barbara, immer noch drall, immer noch hübsch, in seinem Bett vor.
»Nun, junger Herr?« fragte sie ein wenig spöttisch, die nackten Arme hinter dem Kopf verschränkt. In den anderthalb Jahren, die seit jener peinlichen Szene vergangen waren, hatte sie Gelegenheit genug gehabt, sich ihre Meinung über Richard zu bilden. Sie mochte ihn, sie vertraute ihm, und wenn sie damals eher aus Gutmütigkeit und ein wenig Abenteuerlust bereit gewesen war, sich ihm zu geben, so war der dunkle junge Mann, der sie jetzt entgeistert ansah, inzwischen anziehend genug, um ihr Blut in Wallung zu bringen. Als er sich nicht rührte, sagte sie ungeduldig: »Ich bin's wirklich, du brauchst nicht zur Salzsäure erstarren!«
Er kam ein paar Schritte näher und ließ sich auf den Stuhl fallen, der vor dem Bett stand, wie eine Puppe, der man die Fäden abgeschnitten hatte. Barbara runzelte die Stirn, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und ließ vorsichtig ihre Hand über sein Knie gleiten. Er zuckte zurück. Sie setzte sich jäh auf.
»Was hast du? Bin ich nicht gut genug für dich?«
»Nein«, erwiderte Richard mit genügend Verzweiflung in der Stimme, um sie sicher sein zu lassen, daß er nicht log, »das ist es nicht, du bist hübsch und lieb und alles, was ein Mann sich wünschen kann.«
Besänftigt fragte sie: »Was ist es dann?«
Er wandte den Blick ab und sagte tonlos: »Ich kann bei keiner Frau liegen, bei überhaupt keiner.«
Barbara setzte sich auf. Sie war sich sehr wohl bewußt, daß sie mit ihren üppigen Brüsten und dem aufgelösten Haar eine große Verlockung darstellte, und nahm nun eine Haltung ein, die erfahrungsgemäß unwiderstehlich war.
»Ach was«, sagte sie aufmunternd, »das bildest du dir ein, das hast du bestimmt von diesen Narren von Schreibern. Du bist schon in Ordnung. Glaub mir, ich bin eine Frau, ich weiß es. Damals warst du eben etwas jung und aufgeregt, das war alles.«
Richard wünschte sich zehn Klafter tief unter die Erde. »Barbara, glaub mir, ich kann nicht. Ich …«
Ihm kam eine Erleuchtung. »Ich habe ein Gelübde abgelegt, als ich einmal von einer schweren Krankheit genas, daß ich bis zu meinem zwanzigsten Jahr bei keiner Frau liegen würde.«
Er sah den Zweifel in ihren Augen und gestaltete die Geschichte schnell weiter aus: »Deinetwegen hätte ich es damals fast gebrochen, und das darf nicht noch einmal geschehen. Es war, bevor ich hierhergekommen bin. In meiner Heimatstadt herrschte ein unbekanntes Fieber und …«
»Schon gut«, sagte Barbara. Doch sie änderte ihre Stellung nicht.
»Du mußt dich aber sehr verändert haben, seit du dein Gelübde voller Frömmigkeit abgelegt hast, denn hier gehst du doch nicht einmal zur Beichte.« Sie lachte über seinen überraschten Gesichtsausdruck. »Kann sein, daß du deinen Oheim, deine Tante und die ganze Familie täuschst, aber unsereins merkt, daß du an den Samstagen nicht zur Kirche gehst, um zu beichten, sondern die Stadt verläßt, um Gott
Weitere Kostenlose Bücher