Die Puppenspieler
innerlich erleichtert auf. Seine Angst war überwunden, dachte sie.
Sybille hatte recht und unrecht zugleich. Richard machte es in der Tat nichts mehr aus, sie zu berühren oder Ursula oder auch Anna, die mit ihrem Verlobten den Reigen anführte. Für jede von ihnen empfand er ein gewisses, wenn auch unterschiedliches Maß von Zuneigung, etwa wie für eine Schwester.
Doch als ihn Barbara heute zur Seite gezogen hatte, hätte er ihren Arm am liebsten abgeschüttelt, denn sie so nah zu spüren, verwirrte ihn, und er hatte längst beschlossen, sich nie mehr in eine Situation zu begeben, wie sie ihn mit Barbara verband. Barbara zu berühren, und sei es auch nur mit den Fingerspitzen, war ihm so unangenehm wie nur irgend etwas.
Aber daran dachte er nicht, als er, anfangs unsicher, mit seiner Tante tanzte. Im Gegenteil, es war schön, zu tanzen; die Musik und die rhythmischen Schritte der Tänzer schienen sich zu einer tragenden, schwebenden Harmonie zusammenzufügen, der man sich unmöglich entziehen konnte. Es war so ähnlich, wie Hans Basinger zu beobachten, wenn er das Gold in einen Kreislauf trieb, nur daß er, Richard, nun selbst Teil des Kreislaufs war.
»Du bist so ruhig, Richard«, neckte ihn Sybille. »Keine Fragen, ob der König vielleicht etwas über Mailand oder die anderen italienischen Staaten erzählt hat oder ob es sonst Neuigkeiten gibt – du wirst doch nicht krank geworden sein?«
»Tanzen ist so wunderbar«, platzte er heraus, und Sybille erwiderte belustigt: »Du hast Glück, daß ich nicht dieses Mädchen bin, das neben Regina steht und dir schon die ganze Zeit nachsieht, sonst wäre ich sehr beleidigt, und daß du nicht gesagt hast: Tanzen mit Euch ist so wunderbar.«
Sie hatte Erfolg; er grinste und entgegnete: »Nein, Tante, diesmal falle ich nicht darauf herein – da steht gar kein Mädchen. Ihr wolltet Euch nur ein Kompliment ergattern; Ihr habt Euch die Methoden Eures Gemahls angeeignet.«
Sybille hob die Brauen. »Ist das so schlimm? Wenn ich den gleichen Erfolg habe … Nun, Richard, was soll ich machen, nicht jeder kann mit dem Schwert in den Kampf ziehen wie Maximilian.«
Richard lachte. Es war ein herrlicher Abend, und es war so überraschend angenehm, sich mit einer Frau zu unterhalten und mit ihr zu scherzen. »Ihr seid aber sehr viel erfolgreicher als er … Es ist wundervoll, mit Euch zu tanzen. Was gibt es Neues?«
Sybille brach in Lachen aus.
12
D IE N EUIGKEITEN , die aus Italien kamen, nachdem Maximilian seinen Besuch mit einer Jagd und einer Messe abgeschlossen hatte und etwas Ruhe in das Haus am Rindermarkt einkehrte, waren indessen in keiner Beziehung aufheiternd. Papst Innozenz VIII. hatte Pico della Mirandola, nicht zufrieden damit, seine Schrift ›De hominis dignitate‹ zu verbieten, schließlich exkommuniziert.
»Versuche, dich an das zu erinnern, was ich dir über die Stoiker beigebracht habe, und nimm es philosophisch«, sagte Anselm Justinger zu dem aufgebrachten Richard. »Auch der Heilige Vater ist nicht unsterblich. Der nächste Papst kann die Entscheidung wieder rückgängig machen. Außerdem zeigt dieses Ereignis, daß wir in einer neuen Zeit leben. Nach den Lehren der Kirche sollte ein Exkommunizierter gemieden werden wie ein Aussätziger. Dieser Pico dagegen lebt weiter als geehrter Gelehrter in Florenz.«
»Aber«, wandte Richard ein, »es gab doch auch früher Könige und Kaiser, die mit den Päpsten stritten und exkommuniziert wurden, ohne deswegen wie Aussätzige gemieden zu werden.«
Anselm zuckte die Achseln. »Heinrich IV. mußte sich vor Papst Gregor dem Großen bei Canossa demütigen.«
»Aber Friedrich II. wurde dreimal exkommuniziert und war selbst in seinem Tod noch unbesiegt.«
Hänsle, der dem Disput zwischen seinem Lehrer und seinem Vetter bisher eher gelangweilt gelauscht hatte, bekreuzigte sich hastig bei der Erwähnung dieses Kaisers. Zweihundert Jahre waren seit dem Tod Friedrichs vergangen, und noch immer löste sein Name unheilige Schauer aus.
»Richard«, sagte Hänsle beunruhigt, denn seine Keckheit erstreckte sich nie auf das Gebiet der kirchlichen Lehren, »das war der Antichrist.«
Richard war nicht in der Stimmung, auf Hänsles Meinung Rücksicht zu nehmen, insbesondere, da dieser Kaiser, der nur etwas mehr als acht Jahre im deutschsprachigen Teil seines Reiches und den Rest seines Lebens in Italien verbracht hatte und so ganz anders gewesen war als all die sonstigen Herrscher, zu seinen Idolen
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