Die Puppenspieler
Tante, was für eine ketzerische Bemerkung … bis auf unseren Herrn sind doch alle bedeutenden Heiligen der Kirche auf diesem Boden gewandelt – macht das Italien nicht zu einer Art zweitem Gelobten Land?«
Insgeheim stimmte Sybille die Aussicht, ihren Neffen bald fortziehen zu sehen, traurig. Natürlich hatte sie so gut wie Jakob gewußt, daß er, dem Kindesalter entwachsen, nicht in Augsburg bleiben würde, und sie gönnte ihm von Herzen Italien und sämtliche italienischen Städte. Wie töricht, dachte sie, sein Herz an ein Kind zu hängen, das nicht das eigene ist – man bekommt es nie zurück.
Ein Kind … Es gab immer noch Hoffnung, daß sie gebären würde. War sie nicht jung und gesund? Manche Frauen hatten sogar erst im hohen Alter geboren. Zuweilen kam ihr wohl der Verdacht, daß ihre Kinderlosigkeit an Jakob liegen könnte, doch sie verdrängte ihn hastig.
In der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen war, beschuldigte man in so einem Fall immer die Frau, und oft genug ließen Fürsten ihre Ehe annullieren. Nicht, daß Jakob ihr je einen Vorwurf gemacht hätte. Im Gegenteil – er umgab sie höchstens mit noch mehr Fürsorge, und das Geschenk, dieses unglaubliche Geschenk der kostbarsten Stücke des legendären Burgunderschatzes, war es nicht in einer Zeit gekommen, als sie besonders niedergedrückt gewesen war, und das mit Grund? Zweimal waren ihre monatlichen Blutungen ausgeblieben, doch kurz nachdem sie es jubelnd Jakob anvertraut hatte, hatten sie wieder eingesetzt, zwar unerwartet stark und heftig, aber dennoch deutlich unterscheidbar von einer Fehlgeburt.
Ihr Körper, ihr vollkommener Körper, der bis jetzt immer nur ihr Freund gewesen war, hatte sie verraten und im Stich gelassen, und manchmal, wenn sie sich an Ulrichs und Georgs zahlreiche Kinder erinnerte, konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, sie hätte Jakob im Stich gelassen. Daß er sich so mit ihrem Neffen beschäftigte, erfüllte sie mit Erleichterung, Stolz und der absurden Empfindung, etwas wiedergutgemacht zu haben.
Sie würde Richard vermissen. Sie sah ihn an, sah für einen Augenblick einen fremden, hochgewachsenen Jüngling mit dunklem Haar und hohen Wangenknochen anstelle des zwölfjährigen Kindes, das sie seltsamerweise erwartet hatte. Tempus fugit , dachte sie. Die Zeit flieht. Aber sie verstand sich besser darauf, zu lachen, als zu trauern, also lächelte sie und scherzte über Richards Eifer und Hänsles entsetzlich langsame Fortschritte mit der Sprache, die er nun bald täglich benötigen würde.
»Du hättest viel früher damit anfangen sollen, du Esel«, sagte Hänsles Schwester Ursula kritisch. »Ich könnte es wesentlich schneller lernen.«
»Und was würdest du damit anfangen?« schlug Hänsle zurück. »Willst du vielleicht Hosen anziehen und ebenfalls nach Venedig gehen?«
»Nein«, erwiderte sie unbeeindruckt. »Aber Philipp von Stain möchte Gesandter des Königs werden, und wenn er mich heiratet, nimmt er mich auf seinen Reisen mit.«
Philipp von Stain, der einmal Anna den Hof gemacht hatte, hatte vor kurzem begonnen, die Gesellschaft ihrer jüngeren Schwester zu suchen. Hänsle blähte die Backen.
»Philipp von Stain – pah! Dieser Bruder Leichtfuß heiratet doch nie! Wem der schon alles Anträge gemacht hat … Er müßte zu den Ungläubigen übergehen, um die Mädchen alle heiraten zu können.«
»Er heiratet mich, wenn ich es will«, erklärte Ursula energisch, »aber ich will noch nicht.«
Beunruhigt warf sie Sybille einen Blick zu. »Bitte, Tante, sagt meiner Mutter nichts über Philipp. Sie mag ihn nicht, seit er nach Anna Bärbel Welser den Hof gemacht hat.«
»Schon gut«, sagte Sybille belustigt, »und dir macht das mit Bärbel Welser nichts aus?«
Ursula zuckte mit den Achseln und wirkte trotz ihrer fünfzehn Jahre sehr erwachsen. »Er ist nun einmal so, aber er ist lustig und bringt mich zum Lachen. Außerdem weiß ich noch nicht einmal sicher, ob ich ihn überhaupt nehmen will.«
»Mädchen«, warf Hänsle großspurig ein, »haben bei so einer Entscheidung nichts mitzureden. Papa wird schon bestimmen, wen du heiratest, und wenn nicht er, so Onkel Jakob.«
Ursula fuhr sich über ihr rotes Haar. »Richard«, sagte sie schelmisch, »sei doch einmal Orakel für uns. Braucht Onkel Jakob eine Geschäftsverbindung, für die er mich verheiraten muß?«
Richard machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich glaube nicht. Da wäre der Orienthandel, aber der Großsultan ist alles andere als frei,
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