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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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gelangt, noch einmal allein mit ihrem Sohn sprechen zu wollen, um ihm zu erklären, mit wem er da Freundschaft geschlossen, in wessen Dienste er sich gestellt hatte. Hänsles Zimmer lag nicht weit von Richards entfernt, und auf dem Weg hatte sie merkwürdige Geräusche gehört, denen sie nachgehen wollte. Richards Tür stand halb offen. Sie hob die Öllampe, die sie mitgebracht hatte.
    »Was soll das bedeuten!«
    Richard und Barbara fuhren hoch. In dem gnadenlosen Schein der Lampe, der auf Richard wie ein Ernüchterungsmittel wirkte, sah Veronika wie die Rache des Schicksals persönlich aus. Ihre Lippen kräuselten sich verächtlich.
    »Natürlich … was hätte ich von dir anderes erwarten sollen, als dich mit dem Gesinde herumzutreiben!«
    Ihr Tonfall veränderte sich, wurde peitschend. »Was dich betrifft, du Dirne – morgen packst du deine Sachen und bist verschwunden, bevor ich dich noch einmal zu Gesicht bekomme!«
    Richard sah Barbaras entsetztes Gesicht und sagte wütend: »Nein, das könnt Ihr nicht tun! Es ist doch alles meine Schuld, nicht ihre!«
    »Das bezweifle ich nicht«, erwiderte Veronika höhnisch, »aber leider kann ich dich nicht aus dem Haus werfen, selbst jetzt nicht! Aber sie geht bei Morgengrauen!«
    Er spürte, wie Barbaras Körper erschlaffte. Sie senkte den Kopf, glitt resigniert aus dem Bett und ging ein paar Schritte auf die Tür zu.
    »Nein«, sagte er. »Nein. Sie bleibt. Ich bin kein Kind mehr, und Ihr seid nicht meine Erzieherin. Also schulde ich Euch keine Rechenschaft über das, was ich tue und über die Gesellschaft, in der ich mich befinde. Und sie – ich habe sie verführt, ich habe sie gezwungen! Was sollte sie tun, sich gegen einen von der Herrschaft wehren? Und tut nicht so, als ob das nicht etwas ganz Alltägliches wäre!«
    Veronikas Miene wurde erst zornig, dann unnachgiebig. »Alltäglich oder nicht – morgen früh ist sie aus dem Haus!«
    Damit wandte sie sich um und ging. Ihre festen, triumphierenden Schritte hallten auf dem Gang wider.
    Richard sprang auf. »O Barbara …« Seine Stimme verebbte. »Barbara, es tut mir so leid. Aber sie wird damit nicht durchkommen. Ich werde mit meiner Tante sprechen«, sagte er verzweifelt, »oder wenn es nötig ist, auch mit meinem Onkel.«
    Barbara kam zurück und umarmte ihn. Diesmal war ihre Umarmung nicht verführerisch, sondern kameradschaftlich.
    »Nein«, sagte sie fest und fuhr mit schiefem Lächeln fort: »Die Sache ist es nicht wert, daß du deswegen einen Familienstreit vom Zaun brichst. Selbst wenn Frau Sybille dafür sorgt, daß ich bleibe, macht mir der alte Drachen doch das Leben zur Hölle. Da geh ich doch lieber gleich, das kann ich dir sagen.« Sie bemühte sich, fröhlich zu klingen. »Ich finde schon wieder eine Stellung. Du kannst ja die Frau überreden, daß sie mir eine Empfehlung mitgibt.«
    »Natürlich«, antwortete Richard abwesend, dann lockerte er die Umarmung etwas und schaute sie an, als suche er etwas in ihrem Gesicht. »Barbara, bist du sicher? Ich werde für dich kämpfen, wenn du willst.«
    Barbara hätte beinahe gelächelt. Männer, dachte sie, waren im Grunde doch nur kleine Jungen, die Helden spielen wollten. »Nein«, entgegnete sie.
    Doch Richard wirkte viel älter, als er war, und sehr fern, als er mit fast unkenntlicher Stimme sagte: »Du hättest nie zu mir kommen dürfen, Barbara, schon das erste Mal nicht, mich nie gern haben dürfen. Ich bringe allen Frauen, die ich … die mir etwas bedeuten, Unglück.«
    Kopfschüttelnd sagte Barbara: »Wie du darauf bloß kommst …« Doch der Schmerz in seinem Gesicht war nicht zu übersehen. Sie verschränkte die Hände hinter dem Rücken, sprach stumm ein kleines Gebet und sagte dann sehr schnell, als fürchte sie, sie würde es sonst nicht fertigbringen: »Es ist nämlich meine Schuld, wirklich. Ich habe dir etwas in den Wein gemischt, weil … ach, weil du nicht anders herumzukriegen warst.«
    Er starrte sie an. Unsicher fragte sie: »Bist du jetzt böse?«
    »Böse …« Richard schüttelte den Kopf. »Nein, böse bin ich nur auf Veronika.«
    Barbara stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn schnell auf den Mund. »Gute Nacht«, flüsterte sie und rannte davon, ehe Richard sein ›Warte‹ rufen konnte. Als sie ihm ihre List gebeichtet hatte, war ihm merkwürdigerweise als erstes nur in den Sinn gekommen, daß sie, ohne es zu wissen, vielleicht das Mittel gefunden hatte, um ihn von seinen Ängsten und Schuldgefühlen zu befreien. Heute

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