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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nacht hatte er nur an Barbara gedacht, nur ihren Körper gespürt, und wenn Veronika sie nicht entdeckt hätte … Doch die Gelegenheit war vorüber, und Barbara war ihre Stellung los.
    Wenn er nur sicher sein könnte, daß es nur Pech gewesen war, Zufall, weiter nichts. Aber er wußte es besser.
    Am nächsten Morgen machte Richard sich auf, um bei Sybille für Barbara ein gutes Wort einzulegen. Sybille hörte ihn ruhig bis zum Ende an und sagte dann: »Veronika war schon bei mir.«
    Richard hätte um ein Haar geflucht. »Wann?« fragte er, bemüht, Selbstbeherrschung zu zeigen.
    »Noch gestern nacht. Sie wollte keine Zeit vergeuden und mir berichten, in welchen Abgründen der Hölle sich mein Neffe bewegt.«
    Sie warf ihm einen forschenden Blick zu und lachte. »Um Himmels willen, Richard, mach doch nicht so ein Gesicht! Du bist nicht der erste junge Mann, dem so etwas passiert, und du wirst weiß Gott auch nicht der letzte sein. Was deine Barbara betrifft, nach Veronikas Tirade habe ich sie aufgesucht und mit ihr gesprochen. Eine meiner Freundinnen heiratet im nächsten Monat und braucht noch ein paar Dienstmädchen für ihren neuen Hausstand. Du siehst also, auch für Barbara ist gesorgt.«
    Mit hochgezogenen Brauen fügte sie hinzu: »Das heißt natürlich nicht, daß du gleich dein Glück bei der nächsten Magd …«
    »Ich komme mir wie ein vollkommener Narr vor«, sagte Richard. »Es tut mir leid, Tante. Ihr seid so großzügig … danke.«
    Die Worte waren unangemessen, aber was sollte man in einer solchen Situation schon sagen? Er hätte sie am liebsten umarmt, doch er scheute sich davor. Von sich aus hatte er es noch nie getan, und er wußte nicht, wie sie es jetzt aufnehmen würde.
    Nach dem Gespräch mit Sybille war er darauf vorbereitet, daß Veronika nicht lange brauchen würde, um die Geschichte im ganzen Haus herumzuerzählen. Die moralische Verworfenheit von Sybilles Neffen gab ein zu gutes Thema ab, um verschwiegen zu werden. Doch worauf er nicht gefaßt war, war die Tatsache, daß ihm die ganze unglückselige Episode den völlig unverdienten Ruf als Weiberheld einbrachte. Die Zoten und Neckereien, die er zu hören bekam, hatten manchmal sogar einen bewundernden Unterton.
    »Stille Wasser sind tief«, bemerkte beispielsweise der Schreiber Norbert. »Da dachten wir die ganze Zeit, du wärst fürs Klosterleben geeignet, dabei schwingst du jede Nacht die Herkuleskeule. Erzähl doch, wie war …«
    »Ach, sei still!«
    Richard verstand es nicht, und es machte ihn langsam, aber sicher wütend. Barbara hatte seinetwegen das Haus verlassen müssen, was gab es also Bewundernswertes an dieser Nacht? Es traf sich gut, daß Anton Eberding darauf bestand, er und Hänsle sollten sich von ein paar Söldnern in die Grundzüge der Waffenkunst einweisen lassen. Natürlich würden ein paar Bewaffnete zum Schutz der Waren mit ihnen reisen, aber in diesen Zeiten konnte man nie sicher genug sein.
    Die Bewaffneten, die ihre Dienste den reisenden Kaufleuten anboten, waren in der Regel alternde Soldaten, die nicht mehr in den Krieg ziehen konnten oder wollten, aber sich immer noch zutrauten, es mit Strauchdieben aufzunehmen.
    »Ein Soldat, der sein Heer verläßt«, kommentierte Anselm Justinger einmal, »hat wohl nur zwei Möglichkeiten – entweder er beschützt Kaufleute oder er wird Straßenräuber. Vielleicht treffen eure Söldner auf ein paar alte Kameraden.«
    Der Söldner, der Richard und Hänsle neben dem Reiten auch noch beibringen sollte, ›die Spitze eines Schwertes von dem Knauf zu unterscheiden‹, wie er sich ausdrückte, hieß Leo Mühlich. Seine Unterrichtsstunden erwiesen sich als hervorragende Gelegenheit, dem Zorn, der in Richard brodelte, Luft zu machen. Er ging mit jeder Menge blauer Flecken, gelegentlich sogar einigen Quetschungen von den Übungen weg, aber dafür wesentlich erleichtert. Als der Winter kam, ließ sie Mühlich im Schnee kämpfen, und die Bewegung in der kalten, klirrenden Luft bereitete ihm sogar unerwartetes Vergnügen. Leo Mühlich war kein leicht zufriedenzustellender Lehrer. Das höchste Lob, das die beiden jungen Männer ihm eines Tages entringen konnten, war: »Auf dem Schlachtfeld wärt ihr zwar schneller tot, als ihr zwinkern könnt, aber vielleicht gelingt es euch jetzt, euch so lange das Gesindel vom Hals zu halten, bis wir helfen können.«
    Es war nach einer solchen Unterrichtsstunde, als Richard erschöpft, aber gutgelaunt in sein Zimmer zurückkehrte, daß er wie

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