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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ihr Lächeln und küßte sie zum ersten Mal freiwillig. »Leb wohl, Barbara«, sagte er sanft. »Du warst immer sehr viel freundlicher zu mir, als ich es verdient hatte.«
    Sie kniff ihn in die Wange. »Werd nicht rührselig. Ich wollte dir ja einen Glücksbringer geben, aber … Warte mal.«
    Es war kalt, und beide spürten den Schnee unter ihren Füßen. Barbara nestelte an ihrem Hals und löste das Kettchen, das dort hing. Es bestand aus Holzgliedern mit einem buntbemalten Anhänger, ein Schmuck, wie ihn Dienstmägde gerne trugen, weil sie zu arm waren, um sich Besseres zu leisten. Ohne weitere Umstände drückte sie ihn Richard in die Hand.
    »Da.« Sie zwinkerte ihm zu. »Kein Zauber dran, Ehrenwort.«
    Richard errötete wie damals, als er noch ein Junge gewesen war und sich das erste Mal bei ihr entschuldigt hatte. »Ich habe auch etwas für dich … aber es ist noch nicht fertig. Kannst du morgen gegen Mittag zu Meister Basingers Werkstatt kommen, nur ganz kurz?«
    Barbara überlegte. »Nein, aber ich werde jemanden schicken.« Plötzlich lächelte sie wieder. »Ich mag dir nicht zu oft Lebewohl sagen, weißt du, es wird sonst zur traurigen Gewohnheit.«
    Mit der Schneeschmelze kam der Frühling. Und mit dem Frühling kam bald, viel schneller, als irgend jemand sich es hätte vorstellen können, der strahlende Märztag, freundlich, aber kühl, an dem der Zug, den Anton Eberding zusammengestellt hatte, mit Richard Artzt und Hans Ulrich Fugger aufbrechen sollte.
    Es war ein seltsames Gefühl, sich zu verabschieden. Hänsle fiel im Kreis seiner zahlreichen Schwestern von einer Umarmung in die andere. Richard biß sich verlegen in die Lippen. Er hatte Sybille und Ursula, die er von Ulrichs Töchtern am liebsten mochte, schon gestern seine Abschiedsgeschenke überreicht, kleine, sorgfältig gearbeitete Anhänger, die er selbst entworfen und bei Hans Basinger geschmiedet hatte. Daß er heimlich auch Barbara ein ähnliches Geschenk gemacht hatte, wußte niemand.
    Anselm schlug ihm auf die Schulter. »Bevor du in Tränen ausbrichst, Richard«, sagte er, leichtherzig wie immer, »denk daran, wie wunderbar mein Leben sein wird, wenn ich euch zwei endlich nicht mehr am Hals habe.«
    »Längst nicht so wunderbar wie unser Leben ohne Euch«, gab Richard zurück. »Lebt wohl, Anselm!« Einige der Freunde, die er sich unter den Angestellten gemacht hatte, waren ebenfalls gekommen, um sich zu verabschieden.
    Jakob hatte er schon am gestrigen Abend Lebewohl gesagt, denn um diese Tageszeit wurde er im Kontor gebraucht. Es war seltsam gewesen, und einen Augenblick lang hatte er sich gewünscht, er könnte auch Jakob umarmen, wie … wie einen Vater, doch diesen Gedanken unterdrückte er hastig. Natürlich hatte er es nicht getan. Man umarmte Jakob Fugger nicht.
    Ursula machte sich vom Kreis ihrer Geschwister frei und hauchte ihm einen hastigen Kuß auf die Wange. »Paß auf Hänsle auf, bis ihr in Venedig ankommt«, flüsterte sie. »Du bist zwar auch nur ein Junge, aber ein klein wenig vernünftiger als dieser Hornochse!«
    Als Sybille auf ihn zukam, dachte er an den Tag, an dem sie ihn hier begrüßt hatte. Scheu sagte er: »Ich werde Euch vermissen, Tante«, und fühlte sich plötzlich umarmt. Sybille strich ihm über das Haar.
    »Ich werde dich auch vermissen … Und über was können Magister Pantinger und ich jetzt gemeinsam jammern, da du uns nicht mehr mit deinen ewigen Fragen verfolgst?«
    Anton Eberding, schon zu Pferd, rief mißbilligend: »Dauert das denn den ganzen Tag? Ich denke, ich werde die jungen Herren hierlassen, denn ich reite jetzt los!«
    Die beiden Jungen eilten zu ihm, schwangen sich in den Sattel, und bald war der riesige Hof wieder leer. Als der Zug die Stadttore passierte, atmete Richard die Frühlingsluft tief ein. Er war fast siebzehn Jahre alt, er spürte die Sonne auf seiner Haut, und das Leben lag vor ihm.

III
Die Blume der Hölle
    15
    D IE P FERDE WAREN NICHT gerade das, was man sich unter edlen Rössern vorstellt, aber die Ausdauer der Tiere, so versicherte Anton Eberding, machte die mangelnde Rasse mehr als wett. Überhaupt blieb wenig Zeit, darauf zu achten, so viele neue Eindrücke stürmten auf sie zu. Der Frühling hatte nach einem ungewöhnlich milden Winter bereits begonnen, Blüten und neue Sprößlinge aller Arten hervorzutreiben. Es schien, als habe sich die Erde geschmückt, um die Reisegruppe willkommen zu heißen, und sogar der Staub der Straße hatte einen Beigeschmack des

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