Die Pyramide: Im Zeichen des Orion (German Edition)
schüttelte den Kopf.
„Meine Güte“, rief ich, „es ist doch nicht so, als wenn Du ohne Fehl und Tadel ein gesetzestreuer Bürger wärest. Wenn ich daran denke, wie Du Steuern hinterziehst, die Kranken kasse um Beiträge prellst. Das berechtigt Dich doch nicht, über mich den Stab zu brechen!“
„Ich bin erschüttert, denn ich glaube, Du hast eine falsche Weltsicht,“ antwortete er.
„Es ist wahrhaftig ein Unterschied, ob Du falsch parkst oder einen Menschen umbringst. Steuern zu hinterziehen ist strafbar. Du verstößt gegen Gesetze, die von Menschen gemacht wurden, und hier von solchen, die in unvorstellbar verantwortungsloser Weise, hemmungslos das Geld der Steuerzahler verplästern, ohne dass sich der einzelne dagegen wehren kann. Im Gegensatz dazu ist Mord der Verstoß gegen ein göttliches Gebot. Das ist von anderer Qualität.“
„Wenn Du schon den lieben Gott bemühst, dann lass doch bitte auch ihn die Strafe bestimmen und nimm zur Kenntnis, dass Jochens Uhr abgelaufen war. Jochen hat gemordet, sein Leben war vor Gott verwirkt, abgesehen von all den anderen Schandtaten, die er begangen hat. Aber nein, da kommen Menschen und fallen Gott in den Arm und pflanzen ihm ein neues Herz ein. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er für sein Geld eine Vorzugsbehandlung erfuhr; Geld, an dem das Blut seiner Frau Marianne klebt, die sterben musste, damit er reich wieder heiraten konnte.“
Ich hatte mich in Rage geredet. Kurt schüttelte den Kopf.
„Ich kann Dir nicht folgen. Es ist die Pflicht von Ärzten und Krankenschwestern, Leben zu erhalten. Wer bist Du, dass Du glaubst, Du habest den Willen Gottes ausgeführt. Woher nimmst Du diese Vermessenheit?“
Er verließ das Wohnzimmer und an diesem Abend auch unser Schlaf zimmer. Er nahm sein Bettzeug und richtete sich im Gästezimmer ein. In der Nacht weinte ich, nicht so sehr, weil ich bereute, obwohl es mir leid tat, Kurti weh getan zu haben, sondern weil mein Mann mir, wie ich meinte, Unrecht tat. Warum verstand er nicht, dass ich keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatte, mit meiner Vergangenheit ein für allemal fertig zu werden?
Am nächsten Tag rief ich Sylvia an. Wir sahen uns nur noch selten. Sie hatte geheiratet, eine Tochter bekommen und war nach ein paar Jahren geschieden worden. Ihr Mann hatte seine Arbeit verloren und keine neue gefunden. Das führte dazu, dass er sich hängen ließ, den ganzen Tag mit Bier vor dem Fernseher saß und von ihrem Geld lebte, ohne irgendetwas zum Haushalt beizutragen. Sylvia hatte das drei lange Jahre erduldet, dann hatte sie sich von ihm getrennt. Sie musste sich und ihre Tochter über Wasser halten; von ihrem Mann erhielt sie so gut wie keinen Unterhalt. Am Anfang hatten wir häufig ihre kleine Jeanette bei uns zu Besuch. Unser Moritz verstand sich sehr gut mit ihr. Da sie beinahe gleichaltrig waren und in dieselbe Schule gingen, machten sie zusammen Schularbeiten. Aber dann kam sie in das Alter, wo sie Jungen doof fand und Moritz lieber Fußball spielte. Wir waren beide zeitlich sehr eingegrenzt, und so sahen wir uns nicht mehr so häufig, was wir sehr bedauerten.
„Sylvie, ich muss Dich sprechen, es ist dringend.“
„Ich habe morgen einen freien Tag. Komm zum Kaffee, ich backe uns einen Kuchen.“
Sylvia freute sich, mich wiederzusehen.
„Du hörtest Dich sehr besorgt an,“ sagte sie,
„ich hoffe, mit Dir und Kurti ist alles in Ordnung?“
„Nein,“ sagte ich, „nichts ist in Ordnung. Ich bin ver zweifelt, denn ich sehe keinen Ausweg und keine Lösung. Wie immer ich mich entscheide, es bedeutet das Ende unserer Beziehung.“ Sylvia blickte mich teilnahmevoll an.
„Ach, weißt Du, manchmal sieht es so trostlos aus, und dann ist es am Ende gar nicht so schlimm. Kurti liebt Dich und Du liebst ihn. Das ist die beste Voraus setzung jedes Problem zu lösen.“
„Nein, es ist aussichtslos,“ sagte ich resigniert.
„Ich habe Jochen umgebracht.“
Zunächst verstand sie mich nicht. Sie glaubte an ein symbolisches Umbringen im Sinne von Ballast abwerfen.
„Hast Du ihn denn in all den Jahren nicht vergessen können?“ fragte sie sanft.
„Ach, Sylvie, Ihr habt alle so eine gute Meinung von mir. ICH BIN EINE MÖRDERIN.“
Besorgt sah sie mich an. Sie begann langsam zu begreifen, dass es sehr ernst war. Ich schilderte ihr die Ereignisse von dem Tag an, an dem Jochen in unsere Klinik eingeliefert wurde, und wie Kurt es auf dem Geburtstag vom Professor herausgefunden
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