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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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neigte sich vor dem Ölbaum, der das schreckliche Angesicht verbarg, und in dieser Stellung der Ergebenheit bezeigte der alte Mann sein zitterndes Mitleid mit den in der Mauer Wohnenden. »Darf die Stadt verschont werden, wenn ich den Greueln ein Ende setzen kann?« bat er seinen Gott.
    »Dann soll sie verschont bleiben«, antwortete mitfühlend der Gott, »und nicht ein einziger Stein wird seinen Platz ändern.«
    »Lob und Preis sei El-Schaddai«, seufzte der Alte, und die Erscheinung verschwand.
    Ohne einen seiner Leute zu Rate zu ziehen, warf der Patriarch seinen Mantel um, nahm seinen Stab und schritt durch die Nacht. Sein Herz brannte vor Liebe für das Volk, das zu erretten ihm gestattet worden war. Er schlug mit dem Stock gegen das Stadttor und rief mit lauter Stimme: »Erwacht und seid gerettet!«, doch die Posten wollten ihn nicht hereinlassen. Er hämmerte abermals gegen das Tor und rief: »Ich muß sogleich den Statthalter sprechen!« Uriel fuhr aus dem Schlafe auf. Als er durch eine Schießscharte sah, daß Zadok draußen stand, befahl er der Wache: »Laßt ihn ein.«
    Wie ein Bräutigam, der zu seiner Braut eilt, stürmte der alte Mann ins Gemach des Statthalters und rief: »Uriel, Makor kann gerettet werden!« Schläfrig kratzte sich der Kanaaniter den Bart und fragte: »Alter, was redest du da?«
    »Du mußt nur den Greueln Einhalt gebieten.«
    »Was soll das heißen?«
    Freudig erklärte der Alte: »Du mußt den Tempel der Astarte zerstören und den Feuergott zerschlagen.« Und großmütig fuhr er fort: »Baal darfst du weiterhin verehren, aber du mußt El-Schaddai als den Einen, den alle anderen überragenden Gott anerkennen.« In seinen Augen flammte jenes Feuer des
    Eiferers, das Uriel am ersten Tage gesehen hatte. Uriel setzte sich. »Das hast du noch nie verlangt.«
    Der Hebräer hatte die Worte des Statthalters offenbar gar nicht vernommen. »Leite diese sündige Stadt auf die Wege des wahren Gottes«, rief er mit Leidenschaft.
    Rahab, über dem Lärm erwacht, trat im Nachtgewand herzu. »Was redet der alte Mann?« fragte sie.
    Zadok eilte ihr entgegen, als begrüße er eine geliebte Tochter. »Befiehl deinem Mann, El-Schaddais Willen zu befolgen!«
    »Was soll der Wahnwitz?« fragte Rahab ihren bestürzten Mann. »Makor kann gerettet werden«, verkündete Zadok, »wenn ihr von der Unzucht im Tempel ablaßt und den Feuergott nicht mehr mit Kindern füttert.« Rahab lachte. »Es ist nicht Unzucht«, sagte sie. »Diese Mädchen sind Priesterinnen. Deine eigene Tochter hat Zibeon in den Tempel geschickt, ihnen beizuliegen, wie ich einst, als ich schwanger war, Uriel geschickt habe. Um mir eine leichte Geburt zu sichern. Alter, diese Bräuche sind notwendig, und deine Tochter ist vernünftiger als du.«
    Zadok begriff gar nicht, was Rahab sprach. Er war so in Verzückung über El-Schaddais Zusage, Makor zu schonen, daß er von den beiden das gleiche erwartete. Doch als diese ihn verständnislos ansahen, wurde er verwirrt. Und noch ehe er recht verstanden hatte, was über seine Tochter gesagt worden war, erschien Zibeon mit Lea. Die junge Frau lief auf ihren Vater zu, der verstört und mit seinem ungekämmten Bart sehr alt aussah, und wollte ihn voller Mitleid küssen. Doch bei ihrem Anblick ging Zadok auf, was Rahabs Worte bedeutet hatten. Er wehrte die Tochter mit seinem Stab ab und fragte: »Hast du deinen Mann zu den Huren geschickt?«
    Zibeon antwortete: »Ich bin zum Tempel gegangen, um für deine Tochter in ihrer Schwangerschaft den Schutz der Götter zu sichern.«
    Der Patriarch betrachtete seinen Schwiegersohn mitleidig und sagte: »Du hast eine Greueltat begangen.«
    »Aber du selbst hast doch gesagt, ich dürfe Astarte huldigen«, entgegnete Zibeon. »Ich habe ihn gebeten, um meinetwillen«, sagte Lea leise.
    Daß Lea solche Worte sprach, erschreckte den alten Mann, und er beugte sich vor, um ihr Gesicht deutlich zu sehen. Eine gräßliche Befürchtung stieg in ihm auf. »Lea«, fragte er, »bist du zu den männlichen Huren gegangen und hast ihnen auf die gleiche Weise beigelegen?«
    »Ja«, antwortete seine Tochter ohne Scham. »Denn dies ist die Art, wie die Frauen von Makor die Göttin verehren.«
    »Und falls du einen Sohn gebierst, wirst du ihn dem Feuergott überliefern?«
    »Ja. So ist in dieser Stadt der Brauch.«
    Zadok wich vor den vier Kanaanitern zurück. Vor vieren -denn nach diesem Eingeständnis durfte seine Tochter nicht länger als Hebräerin gelten. Schwindel befiel ihn,

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