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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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kleinlichen Gesinnung des Rabbi von Makor abgestoßen gewesen. Nur eines konnte man zugunsten dieses
    Mannes sagen: Er war nicht schlechter als die christlichen Priester in Makor zu der Zeit, als die byzantinische Herrschaft über Palästina in den letzten Zügen lag.
    Woher waren die Juden von Makor eigentlich gekommen? Bei der großen Vertreibung des Jahres 351, als die Arbeit am Palästinensischen Talmud ihr Ende fand und Twerija verwüstet wurde, waren nicht alle Juden heimatlos geworden. In vielen abgelegenen Tälern hatten sich Bauernfamilien halten können. Nachdem der Sturm abgeklungen war, hatten sich in Städten wie Makor kleine Gruppen zusammengefunden, die weder über Geld noch über fähige Köpfe verfügten. Alle fünf oder zehn Jahre zog ein Jude aus Ptolemais oder Caesarea, wo es größere Gemeinden gab, nach Babylonien, denn dort befand sich jetzt der Mittelpunkt des jüdischen Glaubens, unterrichtete sich über die wichtigen Geschehnisse, kehrte dann zurück und gab auch in den Nachbargemeinden bekannt, was inzwischen die Gesetzeslehrer in Babylonien an neuen Entscheidungen gefällt hatten. Und dann und wann kam mit dem Schiff ein Gelehrter aus Spanien nach Ptolemais, der auf seiner Pilgerreise zu den heiligen Stätten auch Makor berührte und den staunenden Juden von den Wundern Europas erzählte.
    In diesem Krisenjahr, in dieser Zeit des siegreichen Vormarsches der Heere Mohammeds, denen nur die Einigkeit aller mit einiger Aussicht auf Erfolg hätte widerstehen können, spaltete der törichte Rabbi von Makor auch noch seine Gemeinde in zwei feindliche Lager - wegen eines Vorfalls, der so zeitlos war, daß er schon auf einer Rolle des Buches Bereschit, des Ersten Buches Mose, hätte niedergeschrieben sein können. Wie die meisten unheilvollen Geschichten der Thora begann auch diese ganz einfach: Es waren einst zwei Brüder. Der eine heiratete eine schöne Frau, der andere nicht.
    Unbeeinflußt von dem wechselvollen Geschehen während der letzten zweitausend Jahre war in ganz Palästina ein
    Berufszweig den Juden vorbehalten geblieben, das Färberhandwerk. In Makor gehörten die Färberküpen westlich der Basilika den beiden Brüdern Juda und Aaron. Der ältere hatte vor einigen Jahren Schimirit geheiratet, eine stattliche, schöne junge Frau, deren Vater mit seinen Eseln auf die Märkte von Ptolemais zog; der jüngere jedoch hatte ein dickes, schwer arbeitendes Bauernmädchen genommen. Die Ehe von Juda und Schimirit war glücklich. Es waren ihnen zwar keine Kinder beschieden, wohl aber hatten sie ein trauliches, frommes jüdisches Heim. Von ihm ging das bißchen Licht aus, das in jenen dunklen Jahren den Juden von Makor schien. Kein Wunder, daß sie beim Vergleich ihres so wenig fähigen Rabbi mit Juda sagten: »Wieviel besser wären wir dran, wenn wir Juda als Rabbi hätten.«
    In diesem Jahr allerdings hatten die Brüder Juda und Aaron Sorgen. Nach dem Fall von Damaskus waren Versprengte und Flüchtlinge nach Makor gekommen und hatten berichtet, daß nichts den Arabern widerstehen könne. Zu der Furcht, die alle in der Stadt hatten, kam für die Brüder noch ein weiteres: Der Handel mit Damaskus hörte auf, und die gefärbten Stoffe sammelten sich besorgniserregend an, so daß die beiden vor der schwierigen Frage standen, ob sie entweder die Färberei schließen und ihre jüdischen Arbeiter hungern lassen oder aber versuchen sollten, in Ptolemais den Kaufleuten von Venedig und Genua noch mehr Tuch aufzuhängen. Anfang November tat daher Juda, was Tausende von Männern aus Makor in den vergangenen Jahrhunderten vor ihm getan hatten: Er zog seine beste Kleidung an, suchte sich einen Wanderstab und machte sich auf die Reise nach Ptolemais, die für Kleinstädter noch immer die aufregendste Stadt der Welt war. Kaum war er fort, mußte seine Frau Schimirit erkennen, daß ihr Schwager Aaron sie mit eigenartigen Blicken zu mustern begann, obwohl er doch selbst eine Frau hatte.
    Seit eh und je wohnten die Brüder am Westrand der Stadt, dort, wo die Häuser eng aneinander gedrängt standen, an einem kleinen Platz, dessen Mitte die Färberküpen einnahmen; nördlich von ihnen lag die unansehnliche Synagoge, im Süden das Haus der beiden Familien. Aaron mit den Seinen bewohnte die eine Hälfte, Juda und Schimirit die andere. Oft aßen die beiden Familien gemeinsam, so daß Aaron immer wieder Gelegenheit hatte, Schimirit zu sehen. Sie schätzte den groben, kräftigen, bartlosen Mann nicht sonderlich, und mit

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