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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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Stadt vor zweitausend Jahren ausgesehen hatte. »Josephus schreibt einfach deshalb nichts über Makor, weil er sich hier irgendwie feige benommen hat. Über Jotapata, das doch nur ein paar Meilen weiter südlich liegt, schreibt er in aller Ausführlichkeit. Nur weil er dort den Helden gespielt hat. Ich sage Ihnen, Cullinane, der Mann handelte immer so, wie es ihm in den Kram gepaßt hat. Immer.« Solchermaßen glaubte Pater Vilspronck, hinter das
    Geheimnis des Josephus kommen zu können. Durch das Land, in dem Jesus gewirkt hatte, war Flavius Josephus, dieser kenntnisreiche Jude, kreuz und quer gezogen, zwanzig Jahre lang und zu einer Zeit, in der die Erinnerung an Jesus noch ganz lebendig gewesen sein muß. Und alle nur denkbaren Aspekte jüdischen Lebens erörtert Josephus in seinen Büchern, die guten Seiten ebenso wie die schlechten. Er legt Beziehungen dar, die bis zur Entdeckung der Schriftrollen vom Toten Meer unbekannt waren. Und alles, was die Archäologen entdecken, bestätigt grundsätzlich die Genauigkeit seiner so lebensvollen Berichte. Und trotzdem erwähnt er nicht ein einziges Mal den Namen Jesu Christi, des größten Juden seiner Zeit, und er schweigt sich auch über Nazareth aus, obwohl er in aller Ausführlichkeit über Städte schreibt, die knapp fünfzehn Kilometer entfernt liegen. Es ist quälend, sich vorstellen zu müssen, daß der aufmerksamste Beobachter, den Palästina je hervorgebracht hat, es für richtig hielt, das größte Ereignis seiner Zeit, die Erschütterung der Welt durch Jesus Christus, völlig zu ignorieren. Und deshalb mußte man sich, wenn man ein ehrlicher Forscher wie Pater Vilspronck war, die Frage stellen: »Ist diese Erschütterung geringer gewesen, als man uns glauben gelehrt hat?«
    Der Priester war bereit, diese Frage zu stellen, und er wußte auch eine Antwort. »Ich glaube, Flavius Josephus hat die Erwähnung Jesu Christi und der Stadt Nazareth bewußt unterlassen, ebenso wie er Tatsachen über sich selbst verschwiegen hat. Wir wissen, daß er ein Lügner gewesen ist«, sagte Vilspronck. »Immer wieder stoßen wir bei ihm auf Fälschungen und Verdrehungen. Wenn er von achtzigtausend Römern spricht, stellen wir fest, daß es nur vierzigtausend waren. Wenn er behauptet, daß er ein Held gewesen sei, entdecken wir, daß er sich geradezu jämmerlich aufgeführt hat. Josephus ist der Fall eines glaubenstreuen Juden, der sich eingeredet hat, Jesus hat nie existiert. Er hat höchstwahrscheinlich die Jünger unseres Heilands selbst gesehen, und trotzdem versucht er, Ihn aus der Geschichte zu tilgen.«
    Schweigend beobachteten die beiden, wie die Sonne hinter den Minaretten von Akko versank. Die grenzenlose Schwere der Probleme, die sie besprachen, lastete fühlbar auf ihnen. Schließlich sagte Vilspronck: »Ich habe nie viel von Sigmund Freud gehalten. Habe in ihm einen Feind meiner Kirche gesehen. Und jetzt erlebe ich, daß junge Priester auf mich genauso reagieren. Sie meinen, ich solle diesen Dingen nicht nachgehen. Aber wenn man anfängt, einer menschlichen Seele, einem Tell oder einer geschichtlichen Konzeption auf den Grund zu gehen, sieht man sich plötzlich Schichten gegenüber, von denen man gar nichts weiß. so wenig, wie man es sich nie vorgestellt hätte. Aber sie starren einem ins Gesicht, und man läßt dann nicht locker, bis man zu seinen Schlußfolgerungen gekommen ist.«
    Er erhob sich zu seiner vollen Länge und ging zum Graben B hinüber. Zufällig blieb er über dem noch verschütteten Brunnenschacht stehen, durch den der Feldherr Josephus in jener Nacht geflohen war. Er wandte sich zu Cullinane um und sagte: »Die Vielfalt der Wege Gottes ist so unergründlich und das Mysterium Jesu so groß, daß die Existenz eines weiteren geschichtlichen Problems, wie es das Schweigen des Josephus ist, nur untergeordnete Bedeutung hat. Wenn der Glaube stark genug ist, Jesus zu erfassen, wird er gewiß auch mit historischen Widersprüchlichkeiten fertig.«
    Aber dem Pater sollte noch ein Erlebnis widerfahren, das viel schwieriger zu verarbeiten war als ein bloßer geschichtlicher Widerspruch: Er sollte sich einem ungewöhnlich diffizilen theologischen Problem gegenübersehen. Mit einem reinen Zufall begann es. Er hatte Cullinane zum Speisesaal gefahren und seinen Jeep geparkt. Bei dieser Gelegenheit sagte er: »Ich würde mir gern mal die Hände waschen. Auf dem Tell bin ich ziemlich schmutzig geworden.« Unglücklicherweise, wie sich später herausstellte, hörte

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