Die Quelle
Entdeckungen in Kenia während der letzten Jahre beweisen mit ziemlicher Sicherheit, daß der Mensch vor etwa zwei Millionen Jahren in Afrika entstanden ist. Nach Israel ist er wohl verhältnismäßig spät gekommen, möglicherweise aus Asien, wahrscheinlicher aus Afrika.«
»Ich verstehe nicht, was das mit dem Bild des Fruchtbaren Halbmondes zu tun haben soll.«
»Da das Gebiet von Israel eine naturgegebene Durchgangsstraße bildet, war es immer ein Brennpunkt, in dem sich die Kräfte konzentrierten. Sogar schon in seiner Geologie. Bei uns hier treffen die Kontinente aufeinander. Viele
Erdbeben, heftige Stürme. Erinnern Sie sich, was Stekelis am Jordan gefunden hat?« Cullinane erinnerte sich an die Entdeckung, die vor einigen Jahren die Archäologen in aller Welt überrascht hatte: Ursprünglich horizontal gelagertes Gestein war von Kräften des Erdinnern abgerissen und senkrecht hochgestellt worden. Solche Verwerfungen kennt man überall in der Welt. Aber eingebettet in die aufgekippten Schichten hatte Stekelis Teile eines Skeletts gefunden sowie Geräte unverkennbar menschlicher Herkunft: Knochen und Werkzeuge von Menschen, die gelebt hatten, bevor die Verwerfung entstanden war - vor einer Million Jahre vielleicht! »Man stelle sich vor, was für ein Erdbeben diese Burschen mitgemacht haben!« Cullinane lächelte.
»Was ich behaupten möchte«, sagte Eliav, »ist, daß bereits die ersten Menschen in diesem Gebiet Spielball der Gewalten waren. Und daß es seither nicht anders wurde. Hier unten das große Ägypten. Hier oben die Reiche Mesopotamiens. Wenn diese Kräfte aufeinanderstießen, war der Treffpunkt meist Israel. Hier an unserem Tell, John, sollten wir keine Visionen fruchtbarer Felder heraufbeschwören, sondern das Bild staubbedeckter Ägypter, die in mächtigen Armeen von Süden heraufdrängen, und schwarzbärtiger Mesopotamier, die in gleicher Stärke von Norden herabstoßen. In diesem Kessel, unter dem wilden Stampfen zahlloser Füße, wurde Israel geboren.«
»Und halten Sie das für ein bleibendes Kennzeichen?«
»Jawohl. Denn nach den Kämpfen zwischen Ägypten und Mesopotamien kamen von Westen her die Seevölker« - mit einem ausholenden Schwung seiner Hand über das Mittelmeer zeigte er, wie die Phönizier kamen und die Philister mit ihren Streitwagen und Eisenwaffen - »und stießen auf die von Osten hereinströmenden Syrer. Wieder Verwerfungen. Und immer mehr: Die Griechen vom Westen her, in tödlichem Kampf mit den Persern aus dem Osten. Die Römer auf ihrem Zug gegen die Parther. Die Byzantiner, die über die Araber herfallen. Besonders dramatisch dann die Kreuzzüge: Christen aus Europa stoßen auf Moslems aus Asien. Immer war dies Land Kampfplatz, immer Brennpunkt der Kräfte. In der Neuzeit haben wir Napoleon hiergehabt, als er vor Akko gegen die Türken kämpfte. Und Rommels Deutsche haben Jerusalem und Damaskus einnehmen wollen.«
»Sie halten den Ausdruck Brennpunkt der Kräfte für sinnvoller als die alte Vorstellung vom Fruchtbaren Halbmond?«
»Ja, denn er gemahnt uns an den Konflikt und die geistige Auseinandersetzung, deren Zeuge wir sind.«
Cullinane saß so, daß seine linke Hand dort lag, woher die Heere des Westens gekommen waren, und seine rechte bei denen von Osten her. Jetzt schlug er beide Hände klatschend über Israel zusammen und wiederholte, was Eliav aufgezählt hatte: Ägypten gegen Babylonien; Griechenland gegen
Persien; Rom unterwirft den Osten; die Kreuzfahrer schlagen sich mit den Ungläubigen, und schließlich die Juden im Krieg gegen die Araber. »Nun gut«, gab er zu, »hier stieß Kraft auf Kraft, traf Gewalt auf Gewalt. Was soll ich daraus folgern?«
»Ich weiß es nicht so recht«, antwortete Eliav und fuhr dann zögernd fort: »Aber das weiß ich, daß Sie das ganze Problem falsch sehen, wenn Sie sich Israel lediglich als Rastplatz auf einem Fruchtbaren Halbmond vorstellen, für friedliche Bauern auf ihrem Weg nach Ägypten. So war es ganz und gar nicht. Hier traf Dynamik auf Dynamik. Und da wir Juden im Brennpunkt der Kräfte standen, wurden wir am dynamischsten von allen. Mußten es werden. Um zu überleben. Von Anfang an waren wir in einen furchtbaren Strudel geraten. Aber da wir Juden waren, liebten wir dieses Dasein. Sehen Sie auf den Gesichtern unserer Jugend im Kibbuz nicht ein Strahlen?: >Wir stehen, wo die Feuer am heißesten brennen. Wir stehen im Brennpunkt der Kräfte.< John, können Sie es nicht manchmal sehen?« Er hielt ein,
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