Die Quelle
musste Johanna Grothe sein.
Die Frau streckte den Hals nach hinten. Ela Stein sah noch einmal hin. Ihre Arme lagen eng am Körper, verschwanden hinter ihrem Rücken.
Die Frau trat unsicher nach vorn, denn der Mann, der unmittelbar hinter ihr ging, drückte mit seinem um ihren Hals gelegt Arm ihr Kinn mit der Handfläche nach oben.
So führte kein Polizist eine alte Frau ab. Das waren keine Polizisten. Ela Stein atmete tief durch.
Erst anrufen.
Sie legte sich die Worte auf Französisch zurecht und visierte die rechte Schulter des vorderen Mannes an.
»Bleiben Sie stehen. Hände hoch!«, rief sie dann.
Der Mann schien auf diesen Moment gewartet zu haben.
Die Hand mit der Waffe schwenkte herum, es blitzte zwei Mal auf. Ela Stein hörte keine Schussgeräusche. Schalldämpfer. Das waren mit Sicherheit keine Polizisten.
Sie zog den Abzug durch.
Der Knall ihres Schusses dröhnte im Kellergewölbe, wurde von den Wänden zurückgeworfen, brach sich wie rollender Donner.
Der Mann schoss erneut, bewegte sich dabei den Mittelgang entlang, bog dann zwischen zwei Bottichen in ihre Richtung ab. Dabei schoss er wieder.
Ein paar Spritzer trafen ihre Wangen.
Sie ging ganz hinter dem Bottich in Deckung. Der Mann war abgebrüht. Statt bei ihrem Schuss in Deckung zu gehen, hatte er einen möglichen Treffer akzeptiert für die Chance, ihre Position auszumachen.
Und jetzt kam er auf sie zu.
Hockend schob sie sich vorsichtig zur Seite, stützte sich dabei mit den Händen ab. Der Boden unter ihrer linken Hand war feucht, im nächsten Moment spürte sie einen Strahl Nässe auf dem Handrücken. Sie zog die Hand zurück und hielt sie sich vor die Nase.
Es roch nach Alkohol. Eine der Kugeln musste den Bottich durchschlagen haben, aus dem ein Strahl der gärenden Weinmaische sprudelte.
Plötzlich tanzte der Strahl einer Taschenlampe über die Bottiche, leuchtete zwischen den Fässern den Boden aus. Ela Stein wackelte im Entengang hinter den nächsten Holzbottich.
»Komm raus, Vögelchen!«, knurrte eine zufriedene Stimme.
Sie schoss erneut.
Kapitel 39
FORSCHUNGSZENTRUM
»Wohin musst du verreisen?«
Sarah war schlank und betonte ihre gute Figur wie fast immer mit Jeans und Shirt. Sie stand im Türrahmen des Schlafzimmers und beobachtete distanziert, wie er seinen Koffer packte. Sie war in Oregon aufgewachsen, und Kami-Passang hatte sie ganz unspektakulär auf einer privaten Party kennengelernt, kurz nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte.
Sie war Kindergärtnerin und ein Segen für ihre beiden halbwüchsigen Kinder. Sie hielt ihm den Rücken frei, kümmerte sich um alles in der Familie, damit er sich ganz der Forschung widmen konnte.
Sein Blick glitt ein letztes Mal über den Zettel in seiner Hand. Er hatte sich vor Jahren einen Spickzettel angelegt, auf dem fein säuberlich alles aufgelistet war, was er für eine mehrtägige Reise benötigte. Die Konzentration auf das Packen half ihm, den Fragen seiner Frau auszuweichen. Sie wusste nichts über seine Forschungen und durfte auch nichts wissen. So war das System.
»Ich habe eben die Nachrichten gesehen. Es gibt nur zwei Themen. Den Stromausfall in Europa und die Arktiskonferenz in Moskau. Ich hätte niemals daran gedacht, dass die Eiswüste einmal unseren Wohlstand sichern helfen soll. Und dabei sollst du dem Präsidenten helfen, ja?«
»Unserem Land und dem Präsidenten. Mehr kann ich dir nicht sagen. Ja, es hat mit der Arktiskonferenz zu tun.«
»Wenn er das hinkriegt, dann wähle ich ihn auch. Du fliegst also nach Moskau.«
»Ich weiß es nicht. Vermutlich - ja.«
»Kannst du dir vorstellen, wie sich eine Frau fühlt, wenn ihr Mann sagt, er müsse verreisen, und nicht verrät, wohin?«
»Warum bist du so?« Kami-Passang sah kurz auf. »Du weißt doch, wo ich arbeite.«
»Mir geht dieses Eingesperrtsein auf die Nerven!«
»Wir sind hier nicht eingesperrt«, erwiderte er matt.
»Als du damals von dem Projekt gesprochen hast, habe ich nicht geahnt, was auf uns zukommen würde. Diese Quarantäne ist grausam.«
»Bitte! Nicht jetzt.« Er hatte ihr schon mehrmals versprochen, dass sie bald wieder ein normales Leben führen würden. Dass sie wieder in ihr eigenes Haus zurückkehren würden, ganz normal mit den Nachbarn reden konnten und die Kinder jeden Morgen wie alle anderen mit dem Schulbus in die Schule fahren würden, sich mit Freunden treffen konnten.
Das erste Mal waren die Einschränkungen seiner Frau richtig klar geworden, als sie nach einer Woche
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