Die Quelle
stellte ihr Rotweinglas wütend auf die Tischplatte, besann sich dann und starrte nachdenklich in das Weinglas.
»Sie sind kein Chemiker wie Rainer oder ich. Sie verstehen nicht, worum es geht. Damit ist Ihre Ignoranz entschuldbar.«
Benn schüttelte den Kopf und starrte die Frau an, deren Gesichtsausdruck plötzlich seltsam abwesend wirkte. Als er die wässrigen Augen sah, schluckte er die heftige Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge lag.
Nach ein paar Sekunden schien sich die alte Frau wieder in der Gewalt zu haben. Sie nippte am Rotwein, bevor sie mit belegter Stimme sprach.
»Ich weiß nicht, ob und wo Rainer Unterlagen versteckt hat. Mir jedenfalls hat er keine gegeben.«
Kapitel 42
CHÂTEAUNEUF-DU-PAPE
Benn kam sich vor, als sei ein tonnenschwerer Felsbrocken auf ihn gestürzt und begrabe ihn.
Er trank das Glas Wein in einem Zug leer. Dann starrte er in die Runde, griff sich die Weinflasche, schenkte das Glas wieder halb voll und trank es erneut in einem Zug leer.
Keuchend warf er sich nach hinten in den Stuhl, beugte sich dann wieder nach vorn. Er spürte die schlagartige Hitze. Sein Kopf musste feuerrot sein.
»Warum machen Sie solch böse Scherze?« Hilflos sah er die Kommissarin an, die wie abwesend neben ihm saß, ehe er sich wieder auf Johanna Grothe konzentrierte.
»Das ist kein Scherz.« Johanna Grothe hielt Benns Blick stand.
»Ihr Enkel Timo Moritz hat doch aber selbst ...«
»Ich weiß nicht, was Timo gesagt hat. Ich war nicht dabei. Ich kann Ihnen nur sagen, dass Rainer vor einigen Tagen bei mir aufgetaucht ist, bevor sein großes Experiment starten sollte. Noch einmal Kraft tanken, nannte er seinen Besuch. Er hat drei Tage bei mir gewohnt. So wie früher. Er hat mich ja oft besucht. Tagsüber hat er kleine Reparaturen im Haus durchgeführt. Einmal war er auch im Weinberg. Und abends haben wir uns lange unterhalten.«
»Das war alles?«
»Jedenfalls hat er mir keine Unterlagen gegeben.«
»Ich verstehe das nicht.« Benn sah sich in einem Moor untergehen. Langsam, Zentimeter um Zentimeter, versank er weiter in dem bodenlosen Morast.
»Ich vermute, die Verständigung hier drinnen wird noch etwas länger dauern, ohne dass ich helfen kann. Ich sehe mich draußen ein wenig um.« Wellens war aufgestanden und näherte sich der Tür zum Speisesaal. »Irgendwie müssen die Kerle ja hierhergekommen sein. Ich vermute, es will mich keiner begleiten.«
Benn sah den Botschaftsangehörigen verwundert an und wollte ihn schon mit einer bissigen Bemerkung zurückhalten, als er die Hand der Kommissarin auf seinem Arm spürte.
»Lassen Sie ihn. Er hat seinen eigenen Kopf, und wenn jemand draußen nachschaut, ist das auch nicht schlecht. Er weiß besser als die Leute des Winzers, worauf man womöglich achten muss.«
Benn dachte an das, was Wellens über seinen Auftrag gesagt hatte, und zuckte dann mit den Schultern. Sollte er tun, was er für richtig hielt.
»Natürlich haben wir uns über seine Erfindung unterhalten«, sagte Johanna Grothe. »Er hat mir von dem bevorstehenden Experiment in Greifswald erzählt. Er war mächtig stolz darauf, dass er es nun geschafft hatte. Es war ihm wichtig, dass ich es unmittelbar und persönlich von ihm erfuhr.«
»Gab es dafür einen Grund?«, fragte Ela Stein.
»Natürlich. Ich habe ihm geholfen. Ich war es, die ihm den Kontakt nach Greifswald zu Professor Münch vermittelt hat. Über Timo und die Energieagentur. In Greifswald wird an der Kernfusion geforscht, und die Energieagentur hat Kontakte zu allen Forschungsstellen.«
»Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Ihr Enkel eines Tages bei Ihnen auftauchte, von einer sensationellen Erfindung erzählte und Sie ihm deshalb halfen, einen Ort zu finden, wo er sein Experiment sozusagen ›vorstellen‹ konnte. Ich weiß, dass ihn die deutsche Regierung unterstützt.«
»Natürlich war es nicht so.«
»Und die Kommissarin hier, die mich begleitet, hat Ihren Enkel bereits vor Wochen in Greifswald unter ihren Fittichen gehabt, als er meinte, er werde beobachtet. Sie ist nämlich beim Bundeskriminalamt genau für solche Aufgaben zuständig.«
Benn unterbrach sich, denn Johanna Grothe hob den Kopf und sah die Kommissarin prüfend an.
»Aus welchem Grund?«
»Ihr Enkel behauptete, er werde beobachtet«, sagte Ela Stein.
»Und?«
»Ich habe das überprüft. Ich habe damals nichts feststellen können.«
»Sie haben sich geirrt, nicht wahr?«
Ela Stein nickte nach kurzem Nachdenken. »Ja, es scheint,
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