Die Quelle
auch genügend zweifelnde Wissenschaftler, weil sie die wissenschaftlichen Regeln nicht eingehalten sahen. Fleischmann und Pons wurden unsaubere Forschungspraktiken, schlechte Dokumentationen und überhastete Veröffentlichung vorgeworfen. Und ehrlich gesagt, die Dokumentation ließ wirklich zu wünschen übrig. Auch die Hast, mit der die Ergebnisse in die Öffentlichkeit transportiert wurden, war ungewöhnlich.«
»Ist das nicht verständlich?«, frage Benn. »Ich verstehe das doch richtig, so eine Erfindung würde Milliarden einbringen, oder?«
»Sicher. Da die Überprüfungen des Experiments durch andere Wissenschaftler aber nicht immer die gleichen Ergebnisse brachten, schlug schnell die Stunde der Skeptiker.«
»Man glaubte es nicht.«
»Es tobte ein Krieg unter den Wissenschaftlern. Die Ergebnisse wurden schlechtgeredet, von Manipulationen war die Rede, Mitarbeiter wurden unter Druck gesetzt, die Wissenschaftsmagazine veröffentlichten die Studien nicht. Quer durch die Universitäten, quer durch die Wissenschaftselite verliefen die Fronten, und immer standen sich die Befürworter der Heißen Fusion und die der Kalten Fusion gegenüber.«
»Das Ergebnis ist offensichtlich, wenn ich daran denke, dass immer noch an der Kernfusion geforscht wird.« Benn hatte einen umgerissenen Stapel Bücher durchwühlt und hielt eines der Bücher mit dem Titel ›Kalte Kernfusion‹ hoch. »Was ist das?«
Die Chemikerin musterte das Buch nur kurz. »Es gab Anfang der Neunziger einen Untersuchungsausschuss und einen Bericht des US-Energieministeriums, der maßgeblich dazu beitrug, dass die Kalte Fusion zu Grabe getragen wurde. Das Buch hat der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses geschrieben. Ein anerkannter Befürworter der Heißen Fusion, die mit Unsummen an Forschungsgeldern unterstützt wurde und wird.«
»Sie meinen, die Angst um Fördergelder bestimmte das Ergebnis?«
»Das wird behauptet. Jedenfalls war die ›Kalte Fusion‹ ganz schnell tot. Und sie wurde zu einem tödlichen Gift für jeden Wissenschaftler, der sich damit beschäftigte.«
»Was heißt das?«, fragte Benn, der den rauen Ton in der Stimme der Chemikerin nicht deuten konnte.
»Wer für die ›Kalte Fusion‹ Partei ergriff, ruinierte seinen Ruf und flog von der Uni. Egal, ob er oder sie Professor, Doktorrand oder einfacher Student war. Das ist seitdem fast allen passiert, die die Möglichkeit der Kalten Fusion erforschen wollten. Ihre Namen wurden in den Dreck gezogen. Egal, wie anerkannt und erfolgreich sie zuvor als Wissenschaftler waren.«
Benn blätterte durch die Seiten des in die deutsche Sprache übersetzten Buches, las an verschiedenen Stellen.
»Ich verstehe die ganzen Formeln nicht. Aber wenn ich den Text richtig interpretiere, wird immer wieder das Fehlen von Gammastrahlen kritisiert. Das scheint mir der Grund zu sein, warum gesagt wird, es habe alles Mögliche stattgefunden, aber keine Fusion von Atomen.«
»Das war einer der Hauptkritikpunkte. Damals nahm man noch an, bei jeder Kernfusion müssten Gammastrahlen als Abfallprodukt entstehen und nachweisbar sein.«
»Sie sagen das so, als sei das eine überholte Ansicht.«
»Sie haben doch vorhin von den Versuchen in Caderache und den Forschungen in Greifswald gesprochen. Fragen Sie dort mal nach, ob Gammastrahlen als Abfallprodukt anfallen werden. Oder lesen Sie die offiziellen Memoranden zur Kernfusion. Da ist nirgends mehr die Rede von Gammastrahlen. Alpha-Strahlen: ja. Beta-Strahlen: ja. Gamma-Strahlen: nein. Das ist ja gerade heutzutage eines der Argumente, mit dem die Befürworter für die Heiße Kernfusion kämpfen. Alpha-Strahlung wird schon durch Papier aufgehalten, und gegen Beta-Strahlung schützt eine vergleichsweise dünne Glasscheibe.«
»Ich habe gelernt, es dauert Millionen von Jahren, bis verstrahlte Materialien wieder ungefährlich sind.«
»Sie reden von der Kernspaltung. Bei der Kernfusion sollen die im Innern des Fusionsreaktors verstrahlten Materialien statt nach Millionen von Jahren bereits nach hundert Jahren wieder verwendbar und nach fünfhundert Jahren von allem Gift befreit sein. Das Thema Gammastrahlen hat sich im Laufe der Neunzigerjahre erledigt, als man erste, kurze Kernfusionen realisierte.«
Benn zögerte, stellte aber dann doch die Frage, die ihm auf der Zunge lag.
»Die Wasserstoffbombe zieht ihre fürchterliche Vernichtungskraft auch aus der Kernfusion. Da gibt es doch Gamma-Strahlung. Wie kann es dann bei den Fusionsreaktoren keine
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