Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
ging geradewegs auf Michael zu und starrte auf ihn hinunter.
Es dauerte einen Moment, bis Michael begriff. Dann fragte er lächelnd: »Sie haben sie nicht gefunden, nicht wahr?«
Raechen funkelte Michael wütend an. »Grinsen Sie nicht so«, zischte er. »Bilden Sie sich etwa ein, die Frau ist in Sicherheit? In Royal Meridien ist mir jemand zuvorgekommen. Zu schade! Ich hätte sie vielleicht am Leben gelassen, aber der Mann, der sie jetzt hat, wird kein Risiko eingehen.«
Die Erleichterung, die Michael verspürt hatte, verflog, und mit ihr verschwand der fröhliche Ausdruck in seinen Augen.
»Nikolai Fetisow schätzt es nicht, Menschen am Leben zu lassen.«
Michael blieb beinahe das Herz stehen. Er, Susan, sein Vater – sie waren von allen Seiten von Feinden umgeben: Zivera, Raechen und Fetisow. Und alle verfolgten ihre eigenen Ziele, für die sie großzügig Menschenleben opferten.
Michael war so naiv gewesen, sich einzubilden, er könne Susan retten. Inzwischen konnte sie überall sein.
Raechen atmete tief durch und lehnte sich gegen die Ablage. »Wenn Fetisow Genevieve tatsächlich schon hätte, warum sollte er dann Ihre Freundin entführen? Was könnte sie ihm zu bieten haben?«
Michael wusste, was sie ihm zu bieten hatte: Es war in dem Rucksack versteckt, den er ihr gegeben hatte.
»Sie haben nicht nur Ziveras Mutter retten wollen, nicht wahr? Was haben Sie außerdem noch angestellt? Was haben Sie gestohlen, Mr. St. Pierre?«
Michaels Gesichtsausdruck sprach Bände. Es schockierte ihn, dass Raechen wusste, wer und was er war.
»Nun reden Sie schon. Oder bilden Sie sich ernsthaft ein, in Russland gäbe es keine Informanten? Sie sind mir von Ihrer Heimatstadt hierher gefolgt, aus der gleichen Stadt, aus der ich Ziveras Mutter entführt habe. Sie ist Ihre Freundin, nicht wahr? Nur glaube ich nicht, dass Sie ausschließlich ihretwegen nach Russland gekommen sind, oder doch?«
Michael antwortete nicht. Er hatte Mühe, seine Wut zu unterdrücken und wartete nur auf den richtigen Moment, um loszuschlagen.
Raechen kehrte Michael den Rücken zu und ging zum anderen Ende des Zimmers. Rasch glitt Michael aus den zusammengebastelten Handschellen, griff nach der Pistole unter seinem Hemd und zielte auf Raechen.
»Umdrehen!«, sagte Michael.
Raechen blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich langsam um. Er schaute auf die Waffe und dann auf Michael – so furchtlos, als blicke er auf ein Kind. »Was wollen Sie denn damit?«, fragte er und schaute zur Ablage am anderen Ende des Zimmers; seine beiden Pistolen lagen ungefähr acht Meter von ihm entfernt. Langsam ging er auf Michael zu. »Falls Sie die Absicht haben, mich zu erschießen, schlage ich vor, dass Sie abdrücken, bevor ich Ihnen die Waffe aus der Hand reiße.«
Raechen kam immer näher. Michael musste hier raus, und zwar schnell, wenn er überhaupt noch eine Chance haben wollte, Susan und Genevieve zu retten. Er beschloss, keine weitere Zeit zu verschwenden.
Raechen war nur noch vier oder fünf Schritte entfernt, als Michael abdrückte. Die Kugel durchschlug Raechens rechten Oberschenkel und grub sich in die Wand. Ein kleines Bullauge aus Blut und Fleisch umschloss das Loch, das die Kugel gerissen hatte.
Mit einem dumpfen Laut fiel Raechen zu Boden. Michael sprang von seinem Stuhl auf und hielt seine Waffe schussbereit, während er Handschellen hervorzog und sie Raechen hinter dem Rücken anlegte. Er bückte sich und leerte die Taschen des Russen, fand ein Mobiltelefon, Schlüssel und Geld. Dann riss er das Hosenbein bis zur Schusswunde auf. Die Kugel hatte keinen größeren Schaden angerichtet. Sie hatte die Schlagader nicht getroffen, sondern den fleischigen Teil des Oberschenkels durchschlagen. Michael stand auf, schnappte sich Raechens Jacke von der Ablage und schlang sie um sein Bein. Dann zielte er auf den Kopf des Russen.
»Na los, schießen Sie«, rief Raechen.
»Nein. Ich werde mir Ihren Tod nicht aufs Gewissen laden.«
»Lassen Sie bloß Ihr Gewissen aus dem Spiel. Diebe haben kein Gewissen.«
»Und Sie haben eins? Fangen Sie am besten gar nicht erst an, Ihre Handlungen damit zu rechtfertigen, dass Sie die Lage in Ihrem Land verbessern wollen.«
Raechen lachte. »Mein Land? Ich habe vor fünf Jahren meinen Abschied vom Staatsdienst genommen – im Bundesstaat Virginia.« Raechen stockte, und sein Blick irrte ebenso umher wie seine Gedanken. »Mein Sohn ist sechs Jahre alt. Er hat in seinem kurzen Leben mehr Schmerzen erdulden
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