Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
diese Augen. Der Mann, der vor ihm stand, hatte keine Gefühle und achtete nichts, nur seine eigenen Ziele.
Michael geriet in Panik. Erst jetzt erfasste er Genevieves düstere Warnung in vollem Ausmaß – ihre Furcht vor diesem Mann, den sie ihren Sohn nannte.
»Es ist alles Ihre Schuld, Michael. Dass wir das ganz klarstellen. Hätten Sie mich in Frieden gelassen, hätten Sie mein Gemälde in Ruhe gelassen, stünden wir jetzt nicht in diesem wunderschönen Heim Ihres Vaters, während der arme Mann gewaltsam außer Landes gebracht wird. Ich habe gesehen, wie verzweifelt er versucht hat, sich gegen meine Leute zu wehren. Ich muss schon sagen, er ist zäh für einen Mann Ende fünfzig. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sein Herz die Folter überstehen würde, der ich ihn aussetzen werde, wenn Sie meinen Wünschen nicht entsprechen. Ich werde ihn leiden lassen. Und ich werde ihm sagen, dass er dieses Leid Ihnen verdankt, weil Sie mich so unbesonnen bestohlen haben. Eltern – egal, was sie tun – formen unseren Charakter, ob durch Liebe oder durch Vernachlässigung, ob durch Zuneigung oder verantwortungsloses Aussetzen. So sehr wir es auch leugnen möchten – sie bauen unser Fundament und sind Bestandteil dessen, was uns als Mensch ausmacht. Und wie Sie jetzt gerade feststellen, zahlen Eltern immer einen hohen Preis für die Sünden ihrer Kinder.«
»Sie haben Ihre eigene Mutter gejagt!«, stieß Michael hervor und ballte die Fäuste.
»Und ich habe Ihren Vater als Geisel genommen. Und Rettung kann ihm nur zuteilwerden, wenn Sie tun, was ich sage. Wenn Sie zur Polizei rennen, wird er sterben, und Sie wird man verhaften – nicht nur, weil Sie in Europa ein Kunstwerk gestohlen haben, sondern auch wegen seines Todes. Wenn Sie das Tauschgeschäft ignorieren, das ich Ihnen anbiete, stirbt Ihr Vater, und er wird vorher sehr, sehr leiden. Ich bin sicher, dass meine Mutter Ihnen von der Widersprüchlichkeit meines Wesens und meiner Verderbtheit erzählt hat.« Julian nahm sein Glas und ging zum Barfach, schenkte sich noch einmal nach. »Sie hat mich immer schrecklich unterschätzt.« Julian lockerte seine Schultermuskeln und klatschte in die Hände. Seine Laune drehte sich um hundertachtzig Grad, und plötzlich strotzte er nur so von Zuversicht. »Also dann. Die Stadt Moskau steht auf einem riesigen Geflecht aus Tunneln und Höhlen. Manche wurden künstlich angelegt und sind mehrere hundert Jahre alt. Von vielen dieser Tunnel gibt es Straßenkarten, denn sie werden bewohnt von einer Underground-Bevölkerung aus Armen, Aussteigern und Abenteuerlustigen. Doch gibt es einen Bereich des Tunnelsystems, in den sich seit fünfhundert Jahren nicht mehr viele Menschen vorgewagt haben. Und von denen, die es gewagt haben, hat man nie wieder gehört. Genau dahin werden Sie sich begeben. Innerhalb dieses unterirdischen Komplexes gibt es einen Ort, der von Zar Iwan Wassiljewitsch versiegelt wurde, dem Mann, den die Welt heute mehr oder weniger liebevoll Iwan den Schrecklichen nennt. Eine Bibliothek, von der behauptet wird, sie enthalte Antiquitäten und Reichtümer, die unser aller Vorstellungskraft übersteigen. Ein verborgenes Geheimnis an einem geheimnisvollen Ort.« Zivera atmete tief durch, als müsse er sich beruhigen.
»Wo unter der Erde?«, fragte Michael, obwohl er die Antwort gar nicht hören wollte.
»Ich bin sicher, Sie haben schon davon gehört. Auf Russisch bedeutet es ›Zitadelle‹.« Julian hielt inne, gönnte sich eine kurze Auszeit, um an seinem Drink zu nippen. »Aber die Welt nennt es zärtlich den Kreml.«
Michael lachte auf. »Sie machen Witze.«
»Ich versichere Ihnen, Michael, ich mache nie Witze, wenn es um Angelegenheiten wie diese geht.« Julians blassblaue Augen wurden starr. »Wenn Sie morgen früh nicht auf dem Roten Platz stehen, werde ich Ihren Vater töten. Wenn Sie mir nicht innerhalb von sieben Tagen den Albero della Vita beschaffen, wird Stephen Kelley tot sein, bevor Sie Gelegenheit hatten, ihn überhaupt kennenzulernen.«
Paul Busch schlief unruhig. Er träumte von Baseball und von Jeannie, seiner Frau. Sie waren mitten im Bostoner Fenway Park, zusammen mit ihren beiden Kindern Robbie und Chrissie, die Hot Dogs in sich hineinstopften. Die Red Sox lagen zwölf Punkte hinter den Yankees zurück, und die Bostoner Fans standen kurz davor, Randale zu machen. Alle trugen die Farben der Sox, außer Paul und seiner Familie, die den blauen Nadelstreif der Yankees trugen. Das fiel genau in
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