Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
dem Weg schon mal ein bisschen zeige und Ihnen eine Kostprobe der russischen Gastfreundschaft gebe.«
Sie befanden sich inmitten von Reisegruppen aus aller Herren Länder, dem babylonischen Stimmengewirr nach zu urteilen. Während alle anderen Eintritt zahlen mussten, schwenkte Nikolai Fetisow lediglich einen Ausweis, auf den Michael leider keinen Blick erhaschen konnte, und man winkte sie durch. Fetisow befestigte eine Plakette am Revers von Michaels Sportjacke; danach war es, als würde das Meer sich vor ihnen teilen. Plötzlich nickten die Wachen nur noch, Türen wurden geöffnet, und emotionslose Gesichter begannen zu lächeln.
»Mit wem treffen wir uns hier?«, fragte Michael.
»Wie Sie bestimmt wissen, ist der Kreml der Sitz der russischen Regierung, die ein Land regiert, das sich über elf Zeitzonen erstreckt. Vieles von dem, was die ehemalige Sowjetunion ausmachte, wurde innerhalb dieser Mauern gestaltet.«
»Damit haben Sie meine Frage nicht beantwortet«, erwiderte Michael.
»Soll ich nicht noch ein bisschen den Reiseleiter spielen?«
»Ich will wissen, wohin wir gehen«, schimpfte Michael und blieb stehen.
Fetisow baute sich vor Michael auf, so nah, dass kaum noch ein Blatt Papier zwischen sie passte. Michael konnte den stinkenden Atem des Mannes riechen. Fetisow wandte leicht den Kopf, sodass er Michael mit seinem guten Auge fest im Blick hatte, und flüsterte: »Machen Sie keine Szene und erheben Sie mir gegenüber nie wieder die Stimme, besonders nicht innerhalb dieser Mauern. Ich hatte eigentlich erwartet, dass ein Dieb wie Sie ein bisschen mehr Diskretion an den Tag legen würde. Aber da habe ich mich wohl geirrt. Jedenfalls, Sie müssen begreifen, mit was Sie hier konfrontiert werden und was Ihnen bevorsteht. Ich werde es Ihnen zeigen. Von außen haben Sie die Kremlmauern bereits ausgekundschaftet, jetzt gebe ich Ihnen Gelegenheit, auch das Innere zu erkunden.«
Michael starrte den Russen an und trat schließlich einen Schritt zurück. »Wie wollen Sie denn wissen, was ich mir ansehen muss?«
Fetisow legte eine Kunstpause ein, um es perfekt auf den Punkt zu bringen: »Innerhalb des Kremls, innerhalb Russlands, weiß ich alles.«
»Wenn Sie alles wissen, warum finden Sie dann die Schatulle nicht?«
Fetisow starrte Michael einen Moment lang an; dann legte sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht. »Nun ja, es mag da ein, zwei Dinge geben, die ich doch nicht weiß.«
Fetisow ging auf eine schmale Seitentür zu. Sie wurde von einem großen blonden Mann bewacht, fast noch ein pickelnarbiger Teenager. Er und Fetisow lieferten sich auf Russisch einen kurzen Wortwechsel, wobei beide Männer in Michaels Richtung schauten.
Endlich öffnete der junge Mann die Tür und bedeutete Michael, er solle mit ihm kommen.
Zögernd trat Michael durch die Tür. Im nächsten Moment sah er Susan, die in einer Vorhalle auf einem kleinen Sofa saß. Die Verwirrung stand ihnen beiden ins Gesicht geschrieben. Sie drehten die Köpfe und blickten die Russen an.
»Wir wussten nicht, ob Sie mit Ihnen unterwegs war oder Ihnen nachlief«, meinte Fetisow.
»Mir nachlief? Ich dachte, Sie wären allwissend. Der Mann, der immer genau weiß, was um ihn herum vorgeht.« Michael wandte sich Susan zu. »Alles in Ordnung?«
Sie schaute zu Michael auf, nickte und stieß dabei einen Seufzer der Erleichterung aus. »Bisher bin ich von diesem Land nicht sonderlich angetan.« Sie blickte kurz zu dem jungen Russen hinüber und sah dann wieder Michael an. »Ebenso wenig von seinem Volk.«
»Es tut mir leid, wenn Ihnen Schmerzen zugefügt wurden«, erklärte Fetisow. »Lexie hat mir lediglich den Rücken gedeckt. Er ist ein guter Junge.«
»Darüber ließe sich streiten«, erwiderte Susan.
Fetisow lachte. »Das sagt seine Mutter auch immer.«
Michael wandte Fetisow den Rücken zu und sah Susan an. »Es war vereinbart, dass Sie im Wagen bleiben. Und wo ist Busch?«
»Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich kann nicht herumsitzen und nichts tun. Busch sitzt noch im Wagen …«
»Nicht mehr«, fiel Fetisow ihr ins Wort und lenkte damit Michaels Aufmerksamkeit auf sich. »Im Moment irrt Ihr großer blonder Freund über den Roten Platz. Ziemlich außer sich, möchte ich hinzufügen. Was aber kein Grund zur Sorge ist. Ich werde einen meiner Männer losschicken, um ihm zu sagen, dass Sie in Ordnung sind und dass Ihnen hier kostenlos eine erstklassige Besichtigungstour geboten wird. Er kann also getrost in Ihr Hotel gehen, sich einen Drink
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