Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
Vom Netzwerk:
sich mit ihren schwalbenschwanzförmigen Zinnen über gut zweieinhalb Kilometer und war auf dieser Länge durchsetzt von neunzehn riesigen Türmen, von denen die meisten Ende des fünfzehnten Jahrhunderts von italienischen Architekten erbaut worden waren. Jeder dieser Türme hatte eine markante jadegrüne Spitze, die entweder ein rubinroter Stern oder eine goldene Flagge zierten. Es war im wahrsten Sinne des Wortes eine Festung aus vergangenen Tagen, die in zahllosen Schlachten Zigtausende feindlicher Soldaten abgewehrt hatte – eine Verteidigungslinie, die mit ihrer Undurchdringlichkeit die Politik und die Geheimnisse von Russlands Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sicher in ihrem Inneren bewahrte.
    Als er über die dicken Mauern hinwegschaute, konnte Michael die Spitze des Großen Kremlpalasts sehen und die Kirchturmspitzen der Erzengel-Michael-Kathedrale. Alles Teile einer Welt, die ihm fremd und doch vertraut war. Er hatte es mit einem eigenartigen Komplex zu tun, vergleichbar mit einer Kleinstadt, die über hochmoderne Sicherheitsmaßnahmen verfügte, die von einem antiken, schlossartigen Abwehrsystem vervollständigt wurden. Es war eine der am besten bewachten Arenen der Welt, ein Ort, in dessen Tiefen Michael eindringen musste.
    Denn unter diesen Mauern befand sich die goldene Schatulle, der Schlüssel zum Überleben seines Vaters.
    Michael sah sich um und bestaunte, was er sah. Der Rote Platz war dynamisch, weltstädtisch und nicht einmal im Ansatz so, wie er sich ausgemalt hatte. Der sommerblaue Himmel schenkte dieser farbenprächtigen Welt zusätzlichen Glanz. Die Stadt war ebenso weltoffen wie jede Metropole in Westeuropa.
    Michael hatte sich von den Schwarz-Weiß-Schilderungen seiner Jugend und den Gerüchten über Unterdrückung fehlleiten lassen und verkannt, dass Russland sich inzwischen grundlegend verändert hatte. Der Rote Platz war eine riesige Einkaufsarkade unter freiem Himmel geworden.
    Den Tausenden von Touristen und Einheimischen schenkte Michael keine Beachtung; stattdessen konzentrierte er sich auf den Grund für sein Hiersein. Er prägte sich sein Umfeld ein, das Muster, wie die Menschenmassen strömten und wie die Bauwerke aussahen, die sich vor ihm erhoben. Denn seine Zeit war knapp bemessen, und er musste die Möglichkeit zum Beobachten nutzen.
    Michael schaute auf die Armbanduhr: 9.59 Uhr. Er griff in seine Jackentasche und zog sein Mobiltelefon heraus. Er kämpfte gegen seine innere Wut an, als er eine bereits eingegebene Nummer anwählte.
    »Ich bin froh, dass Sie es geschafft haben«, antwortete Zivera nach dem ersten Läuten. »Nicht so froh wie Ihr Vater, aber … viel Glück.« Die Verbindung riss ab.
    »Sie fallen hier leicht auf«, sagte eine russische Stimme mit starkem Akzent.
    Michael drehte sich um und erblickte einen vierschrötigen, schwergewichtigen Mann, dessen Schmerbauch über den Gürtel hing. Er war die sprichwörtliche Ausgabe eines Bullen von Kerl, eins fünfundsiebzig groß, zweihundertzwanzig Pfund schwer, um die Hüften genauso breit wie an den Schultern. Sein Haar war zu schwarz: Der Wust aus ebenholzfarbenen Locken hätte unnatürlicher gar nicht aussehen können. Der Mann trug eine Hornbrille mit Gläsern, so dick wie das Glas einer Colaflasche, und sein rechtes Auge war trüb, weil blind. Alles an ihm war dick: seine Nase, die Lippen, die Wangen, selbst der Hals, und das Ganze fügte sich zusammen zu einem Gesicht, das nur eine Mutter lieben konnte. Wenigstens sein Lächeln wirkte einnehmend. »Nikolai Fetisow«, sagte er und streckte die Hand aus.
    Michael schüttelte die fleischige Pranke. »Sind Sie sicher, dass ich derjenige bin, nach dem Sie suchen?«
    Fetisow zog ein Foto hervor und betrachtete es. Dann hielt er es neben Michaels Gesicht und ließ sein gutes Auge von dem Foto auf Michael und wieder zurück aufs Foto gleiten. »Sie sind in natura hässlicher.« Er lächelte.
    Michael überkam Furcht bei der Vorstellung, sein Kontaktmann in diesem fremden Land könnte dieser Fremde sein. Michael schaute sich auf dem Platz um, blickte in die Gesichter der Menschen und fragte sich, wie viele Genossen sie beide wohl beobachteten und Fetisow den Rücken deckten. Von dem jovialen Getue und dem Grinsen des Mannes jedenfalls ließ Michael sich nicht in die Irre führen; er wusste auch so, dass Fetisow trotz seines äußeren Erscheinungsbildes mehr als gefährlich war.
    »Wohin gehen wir?«, fragte Michael.
    »Wir haben eine Verabredung.«
    »Mit

Weitere Kostenlose Bücher