Die Quelle
Nun gab es keinen Weg des Friedens
zwischen ihren Völkern. Sie hatte in allen Punkten versagt. Von dem jungen
Gardisten begleitet, kam sie an der Tür des Thronsaales an. Ihr Begleiter
blieb davor stehen: sie musste alleine den Thronsaal betreten.
*
Ihre Knie wurden weich. Sie war alleine mit ihrem Gott,
der nachdenklich von seinem Thron aus auf sie herabblickte, als sie
demütig niederkniete.
„Steh auf.“, kam sein Befehl, noch ehe ihre Knie den
Boden berührt hatten.
Anthalion sah zu Loodera und las in ihre Gedanken. Sie
war Alientas Schülerin gewesen und er sah die Trauer in ihr. Er konnte
dennoch auch tief in ihrem Geist erkennen, wie sehr sie ihn, trotz ihrer
Herkunft, als Gott verehrte und den Anschlag auf ihn bedauerte, sogar
missbilligte. Er stand auf und ging langsam auf sie zu. Er konnte die
Ehrfurcht, die Loodera erfasste, als er unmittelbar vor ihr stand, nicht nur in
ihren Gedanken sondern auch auf ihrem Antlitz sehen. Sie wagte es kaum noch zu
atmen und ihre sanften Züge wurden blass. Die Naivität und Güte
von Looderas Geist, den er ungehindert erforschte, bargen in sich den Reiz des
Fremden. Sie hatte nichts Heimtückisches oder Bösartiges zu
verbergen, sie war so rein, wie ein Mensch nur sein konnte und hatte ihr Leben
lang nichts anderes gewollt, als es jedem Recht zu machen und jedem zu helfen.
Sie Reinheit ihres Geistes war reizvoll und er verstand
nun besser, weshalb Leathan sich ihr anvertraut und es genossen hatte, sie an
seiner Seite zu haben. Anthalion sah ihr in die Augen und Loodera senkte den
Blick nicht. Sie schämte sich nicht dafür, für den Tod Alientas
Tränen zu vergießen. Sie schämte sich nicht dafür, die
Strafe ihres Gottes zu fürchten.
Anthalion verspürte ein seltsames, wachsendes
Verlangen und das Böse in ihm bebte vor Vorfreude. Langsam hob er seine
Hand und ließ sanft einen Finger über ihre Wange gleiten. Ihre Haut
fühlte sich weich an, so wie es ihr Geist war. Er konnte sehen, wie
Furcht, Ehrfurcht und Verlangen Loodera gleichermaßen erfassten und ein
genüsslicher Schauder lief über Anthalions Rücken. Es würde
ein leichtes Spiel sein, diesen Geist genau dorthin zu biegen, wo er ihn haben
wollte. Loodera wagte es nicht, Anthalion anzusprechen, doch er sah in ihr die
Gewissheit, er würde sie nun töten. Sie hatte sich damit abgefunden,
sie war überzeugt davon, den Zorn des Rachegottes verdient zu haben.
Es war nicht das erste Mal, dass Anthalion die Heilerin
zu Gesicht bekam, doch zum ersten Mal betrachtete er sie aufmerksam,
vollständig, bis hin zu den tiefsten Winkeln ihres Geistes, der sich ein
Leben lang nach Anerkennung gesehnt hatte und nun auf die Vollstreckung seines
Todesurteils wartete. Vorsichtig wischte er die Tränen aus ihren Augen. Er
konnte ihre Wimpern und ein leichtes Zucken ihrer Augenlider unter seinen
Fingern spüren. Nur ein einziger Gedanke von ihm und er hätte dieses
Leben auslöschen können. Sie war wie alle anderen sterblichen Wesen,
nur ein Hauch davon entfernt, ihren letzten Atemzug zu machen. So vergänglich
wie eine Eintagsfliege.
Er dachte an ihr Volk, das er bald auslöschen
würde und noch immer ganz nah bei ihr, so nah, dass er ihren Atem auf
seiner Haut spüren konnte, sprach er sie an.
„Es gibt kaum etwas, dass ich mir mehr wünschen
würde, als dich zu verschonen.“, log er.
Looderas Herz schlug wieder etwas schneller. So zart war
die Berührung Anthalions, so liebevoll seine Stimme. Noch nie hatte sie
sich irgendjemandem so nahe gefühlt und obwohl sie von Anthalion nichts
anderes als den Tod zu erwarten hatte, empfand sie in diesem Augenblick nichts
als Liebe. Liebe zu ihrem Volk, zu Alienta, zu Leathan doch vor allem Liebe zu
ihrem Vollstrecker. Sie wusste, Anthalion las in ihren Gedanken, doch statt zu
versuchen, etwas vor ihm zu verbergen, lies sie ihren Geist weit offen. Fast
hoffte sie, er würde jedes ihrer Geheimnisse erkunden, alles über sie
erfahren. Sie wollte sich ihrem Gott vollends offenbaren, der sie so liebevoll
berührt hatte, obwohl sie ihn enttäuscht hatte. So viel Gnade erwies
er durch seine Aufmerksamkeit! Sie wagte kaum zu hoffen, er würde nun auch
Gnade zeigen, in der Weise wie er sie töten würde. Sie war darauf gefasst,
nun gleich Schmerz zu empfinden… Doch stattdessen, sah sie, wie er sich nach
vor zu ihr beugte, sich ihr weiter näherte… Als seine Lippen die ihren
berührten, schloss sie in vollkommener Ekstase ihre Augen. Ihr Körper
ergab sich seinen Armen,
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