Die Quelle
nicht voller
Sorgen gewesen, hätte Sihldan sich darüber amüsieren
können. Selim hielt das Stück Bergkristall in seiner Faust, die nun
in Licht gehüllt war und seltsam transparent wirkte. Sihldan dachte kurz
zurück an den Tag, als vor elf Jahren der Priester seinen Sohn wegen
seiner seltsamen Augenfarbe nach der Göttin des Meeres benannt hatte.
Isentiens Volk hatte für gewöhnlich braune Augen, so wie auch Selims
Mutter Masei… War es ein Zeichen der Götter gewesen, dass Selim in seinem
Antlitz die Farben Selimkas trug?
Nun saß sein Sohn an seiner Seite und schwieg.
Zusammen mit seinem Vater sah er in die Ferne, obwohl in dieser sternenlosen
Nacht kaum etwas zu erkennen war. Dass er ihm etwas zu sagen hatte, war klar,
doch keiner von beiden wusste, wie man ein Vater-Sohn-Gespräch
führte, so blieben sie beide für eine Weile still. Es war in den
Nomadenclans unüblich, dass Söhne, die noch Kinder waren, ihre
Väter aufsuchten. Die Mütter führten sie bis ins
Erwachsenenalter, erst ab dann übernahmen die Väter ihre Ausbildung
zu Kriegern und Jägern. Leathans Besuch hatte bei Selim jedoch eine
Änderung bewirkt, denn als er Selims Talent für die Magie entdeckt
hatte, hatte Sihldan zugestimmt, seinen Sohn mit auf die Jagd zu nehmen. Der
Junge hatte einen Einblick in die Erwachsenenwelt bekommen. Nun den Schritt zurückzugehen,
war für ihn nicht mehr möglich. Er spielte eine Weile mit dem
leuchtenden Stein und gab ihn dann seinem Vater.
„Der Hexer hat gesagt, dass ich damit Licht machen kann.
Er hat auch gesagt, dass ich spüren kann, wenn Tiere in der Nähe
sind. Ich habe viel geübt, während du weg warst und ich beherrsche
nun beides recht gut. Wenn er da die Wahrheit gesagt hat, glaube ich ihm auch,
wenn er sagt, dass die Seeungeheuer verschwinden, wenn man sie ignoriert. Auch
wenn alle anderen dir nicht glauben, ich habe keine Angst.“
Sihldan konnte nichts antworten, denn seine Kehle war wie
zugeschnürt. Er kämpfte mit Gefühlen, denen er nicht gewachsen
war.
Selim hatte alles gesagt, was er zu sagen hatte und der
Junge stand nun auf, um seinen Vater wieder allein zu lassen. Sihldan
betrachtete den Stein, der nun in seiner Hand lag und er seufzte tief, um gegen
seine Tränen anzukämpfen.
Kapitel 5
Loodera stand neben Alientas entstellter Leiche.
Er war nicht, wie sie es sich für ihren Meister
gewünscht hätte, in Anthalions Tempel aufgebahrt. Stattdessen lag er
auf einem verdreckten Karren und würde in Kürze in Unehren in einem
der tiefen Gräben verschwinden, in denen Tierleichen mit Sklaven-und
Verbrecherleichen zusammengeworfen wurden, ehe man sie mit Säure übergoss.
Obwohl sie wusste, dass seine Seele schon weit weg war, weinte sie bittere
Tränen. Niemand würde die Erinnerung an seine Person in Ehren halten.
Das Volk der Wächter nannte ihn Verräter, nun war er auch zum
Verräter seines Gottes geworden. Nur für sie würde er immer ihr
Meister bleiben, Alienta der Weise, der den steinigen Weg zur Rettung seines
Volkes gewählt hatte.
Als der Karren wegfuhr, wandte sie sich ab. Leathan war
nach seinem Anschlag auf ihren Herrscher verschwunden, sie hatte hier innerhalb
der Gemäuer des Palastes nichts mehr zu suchen. Sie warf einen letzten
Blick auf die hohen Türme, doch als sie sich auf den Weg zu ihrer neuen
Heimat im Tempel machen wollte, rief sie ein Gardist zurück.
„Unser Gott und Herrscher befiehlt dich zu sich.“
Resigniert sah sie zu dem noch jungen, stolzen Gardisten.
Eigentlich war sie nicht wirklich erstaunt darüber, nun auch gerufen zu
werden. Schließlich hatte sie ein heimliches Treffen zwischen Alienta und
Leathan arrangiert. Wahrscheinlich würde ihre Leiche auch bald neben
Alienta liegen, doch tröstlich fand sie diesen Gedanken nicht. Gehorsam
folgte sie dem Gardisten. Sie war der Meinung eine Strafe verdient zu haben,
obwohl sie nie geahnt hatte, was Leathan vorgehabt hatte. Doch wenn sie gewusst
hätte, was Leathan und Alienta geplant hatten, hätte sie Anthalion
gewarnt? Solange sie keine Antwort auf diese Frage hatte, war sie genauso eine
Verräterin Anthalions wie die zwei Männer, die sie als Vater und
Bruder geliebt hatte. Anthalion hatte ihr aufgetragen Leathans Seele mit ihrer
Anwesenheit zu heilen und sie hatte dabei versagt. Sie hatte nicht bemerkt, wie
weit Leathan dem Wahn verfallen war und nicht geahnt, dass er versuchen
würde, ihren Gott zu töten. Schlimmer noch war, dass Leathan Alienta
in den Sog seines Wahns gezogen hatte.
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