Die Quelle
menschlich zu werden, dass sie einer Göttin gezeigt hatte, was es
hieß ein Mensch zu sein! Falls es überhaupt möglich war, liebte
er Stella dafür umso mehr…
*
Balderia hatte es nicht lange ertragen, diesen
menschlichen Geist zu erforschen. Natürlich waren seine Gedankenmuster
durch das Verschmelzen mit dem Kind der Quelle deutlicher als die anderer
Sterblicher, dennoch war es ermüdend, zwischen all den wirren
Gefühlen klare Gedanken zu entdecken. Zum Glück hatte sie rasch
gefunden, wonach sie gesucht hatte… Jetzt wusste sie, dass der verfluchte
König, den sie selbst mit ihren Geschwistern verflucht hatte, Anthalion
nie beabsichtigt verraten hatte. Anthalions Neid und Machtgier waren es
gewesen, die das Volk der Wächter und ihren König von den
Göttern entfremdet hatten und es in eine gefährliche, defensive
Position gezwungen hatten. Der Krieg zwischen den Göttern und dem Volk der
Wächter war einer Reihe von Missverständnissen entsprungen. Erst
jetzt, da sie dank des Kindes der Quelle einen Einblick in die menschliche
Denkweise erhalten hatte, verstand sie, was damals geschehen war.
Am Ende war einzig Anthalion der Ursprung all ihrer
Probleme. Sie hatten damals sein Versagen mit Verbannung bestaft, doch nun
beschlich Balderia das Gefühl, sie hätten ihn niemals wieder
aufnehmen dürfen, auch dann nicht, wenn er als einziger wusste, wie es
möglich war, als Mensch geboren zu werden. Doch nicht nur Balderia hatte
etwas erfahren, auch sie hatte ihren Geist dem König geöffnet und
somit ihr aufkeimendes Vertrauen bewiesen. Der König würde nun bald
schon von ihr die Gelegenheit erhalten, herauszufinden, ob die Jahrhunderte ihm
genug Kraft verliehen hatten, um seinen bevorstehenden Kampf zu gewinnen. Als
sie ihm das offenbart hatte, hatte sie sein selbstsicheres Lächeln
gespürt, fast als lächle sie selbst… Erschreckend… Sie hatte ihn dabei
ertappt, wie er voller Freude an ein Wiedersehen mit dem Kind gedacht hatte,
das er Stella genannt hatte… Der König hatte ihr offenbart, wie er, als er
dem Kind der Quelle den Namen verliehen hatte, sie gleichzeitig gelehrt hatte,
was es hieß ein Mensch zu sein, was es hieß zu lieben… So weit
wollte die Göttin nicht gehen…
An diesem Punkt seiner Erinnerungen hatte sie den Geist
des verfluchten Königs verlassen. Sie wollte nicht menschlich empfinden,
zu gefährlich war dieser Pfad, der sogar das Kind der Quelle in
Bedrängnis gebracht hatte. Das Kind der Quelle hatte dies bei ihrem
Treffen verstanden, es war weise genug gewesen, um ihr die Denkweise der
Menschen zu erklären, ohne sie mit ihrer Gefühlswelt zu belasten.
Jetzt verstand Balderia das unlogische Denken der Menschen, doch die Last es
nachvollziehen zu können, musste sie nicht tragen. Das war allein der
selbstauferlegte Fluch des Kindes.
*
Liudin trat in Leathans Zimmer ein. Natürlich hatte
sie vergessen zu klopfen, doch als sie Leathan sah, wusste sie, dass er das
Klopfen sowieso nicht gehört hätte. Er lag zusammengekauert auf der
Decke, die sie ihm gekauft hatte und zuckte, als quälte ihn ein Albtraum.
Sie traute sich nicht, ihn wachzurütteln, also rief sie leise seinen
Namen. Als er darauf nicht reagierte, rief sie lauter. Leathan atmete tief
durch, als würde er erst jetzt, da er wach wurde, Entspannung finden.
Seine Augen öffneten sich und er war erleichtert,
das leicht verschmierte, freche Gesicht Liudins zu sehen. Jede Normalität
war ihm in diesem Augenblick willkommen.
„Hast du geklopft?“, fragte er neckisch.
Liudin log. „Ja, aber du hast nicht geantwortet. Was hast
du geträumt?“
Leathan setzte sich auf und streckte sich. Er konnte
seine Gelenke krachen hören.
„Nichts Wichtiges. Was führt dich zu mir?“ Es war
leicht zu erkennen, wie eilig Liudin es hatte, ihm etwas mitzuteilen und er
wusste, dass, auch wenn er jetzt keine Lust hatte, ihr zuzuhören, sie ihm
keine Ruhe lassen würde, bis sie ihm alles erzählt hatte.
„Dein Name, Leathan, gibt es ihn häufiger?“ Leathan
verneinte und sie fuhr ungeduldig fort. „Habe ich mir gedacht. Die Priester
Balderias erzählen überall, dass sie eine Nachricht für Leathan
haben. Es soll sehr wichtig und sehr dringend sein.“
Leathan sprang auf, plötzlich aus den Erinnerungen
seiner Begegnung mit den Göttinnen vollständig herausgerissen. Liudin
wirkte sehr beeindruckt, nun da klar wurde, die Nachricht war tatsächlich
für ihn.
„Das soll eine Nachricht direkt von Anthalion selbst
sein!“,
Weitere Kostenlose Bücher