Die Quelle
ihr Herz schlug nur noch für diesen Augenblick.
Langsam löste er sich von ihr, noch immer hielt er
eine Hand an ihrem Nacken und seine Augen tauchten in die ihren. Der Geschmack
seiner Lippen fehlte ihr jetzt schon. Langsam ließ Anthalion von ihr ab.
Er entfernte sich um einige Schritte und Loodera dachte zu erkennen, dass auch
er einen Kampf mit seinen Gefühlen ausfocht. Als er wieder die Stimme erhob,
klang sie bitter.
„Ich bin nur ein Gott unter vielen. Ich habe Pflichten,
denen ich nicht entkommen kann und gleich wirst du mich dafür hassen.“
Anthalion richtete seine Aufmerksamkeit auf eine der
großen schweren Flügeltüren des Saals und augenblicklich kamen
zwei Gardisten herein, um Anthalions Befehle entgegen zu nehmen. Er strahlte
nun wieder Ruhe und Macht aus, als hätte er die vorherigen Augenblicke aus
seinem Gedächtnis verschwinden lassen.
„Führt sie in den Kerker und verteilt in jedem Tempel
Balderias die Nachricht, dass Leathan einen Tag hat, um sich zu ergeben. Falls
er es bevorzugt zu fliehen, wird nach Ablauf dieser Frist die Novizin Loodera
gefoltert, bis ihr Körper versagt.“
In dem Augenblick da Loodera abgeführt wurde,
blickte er in ihre Gedanken. Er hatte keinen Hass gefunden, sondern Verständnis
und sogar Mitleid, das Gefühl, das er von allen menschlichen
Gefühlen, am wenigsten nachvollziehen konnte. Er lächelte zufrieden.
Er hatte Loodera für sich gewonnen, er würde nicht lange brauchen, um
ihre Persönlichkeit zu brechen… Er würde diejenige zerstören,
die vom Kind der Quelle so sehr geliebt wurde.
Schlagartig wurde er wieder ernst. Er ertappte sich
selbst bei einem merkwürdigen Gedanken und erschrak. Er war neidisch auf
sie… Er wünschte sich, nur einmal so viel Ruhe in seinen Gedanken zu
haben, wie Loodera. Nur einmal… Während sein Körper auf dem Thron in
sich zusammen sank, suchte sein Geist nach Leere. Er fand dabei jedoch nicht
den ersehnten Frieden, denn seine Gedanken verloren sich immer weiter in seinen
eigenen Hirngespinsten. Er dachte an Loodera, an das Kind der Quelle, dessen
wahre Gestalt er nie selbst zu Gesicht bekommen hatte… Er dachte an den
qualvollen Augenblick, da er gestorben war…
Diese Erfahrung würde es ihm erlauben, die Qualen
seiner Opfer noch intensiver mitzuerleben. Er spürte, wie sowohl Vorfreude
als auch Furcht in ihm Platz fanden und plötzlich schauderte es ihm vor
sich selbst…
Kapitel 6
König Leathan betrachtete den leuchtend blauen See,
den ewigen Tanz der Nebelschwaden über die glatte Oberfläche, den
lichterfüllten Wasserfall, der aus dem Nichts auftauchte, um seine Welt
mit Energie zu nähren... Heute fand er jedoch keinen Frieden in diesem
vertrauten Anblick. Stella war vor fast drei Monaten gegangen und die
Einsamkeit der Jahrhunderte lastete schwerer denn je auf seinem Gemüt. War
sie wirklich bei ihm gewesen oder hatte das lange Warten seinen Geist in den
Wahn getrieben? Er atmete tief durch und versuchte, die sinnlose Anspannung zu
verdrängen. Wie immer war er machtlos, das Kämpfen musste er denen
überlassen, die noch einen Platz in dieser Welt hatten.
Plötzlich horchte er auf. Das Unmögliche schien
einzutreffen: er spürte die Anwesenheit eines Geistes.
Überwältigt vor Glück öffnete er seine Gedanken und suchte
telepathisch nach Stella. Wer hätte sonst Kontakt zu ihm aufnehmen
können? Seine Freude währte jedoch nicht lang. Etwas Befremdendes,
Kaltes suchte einen Weg zu ihm. Es war zwar schon sehr lange her, doch er
erinnerte sich deutlich an eine solche Anwesenheit. Beim letzten Mal hatten
sich die Götter ihm genähert, um ihn zu verfluchen. Diesmal war es
nur einer von ihnen, der den Raum seines Geistes betreten wollte. König
Leathan hätte genug Macht gehabt, um ihn fort zu schicken, doch was
hätte er damit erreicht? Er war neugierig zu erfahren, was der Gott von
ihm wollte.
Er brauchte nicht lange, um die leidenschaftslose
Präsenz als Balderia zu erkennen. Die Göttin der Liebe war von allen
Göttern diejenige, die der Liebe am fernsten geblieben war. Und doch…
Etwas hatte sich in ihr gewandelt. Noch immer brachte ihre Anwesenheit ihn dazu
zu frösteln, doch die Göttin wirkte, als würde sie versuchen,
gegen ihre eigene innere Kälte anzukämpfen. Sie drohte nicht, sie war
auf der Suche nach Antworten und der König lächelte ruhig, als er sie
ihr gewährte.
Als die Göttin verschwand, lächelte er
glücklich. Stella, ein unsterbliches Kind der Quelle, hatte es geschafft
so
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