Die Quelle
doch
seit er wieder bei Bewusstsein war, wünschte er sich nichts sehnlicher,
als wieder ins Koma zu versinken. Sein Körper war erfüllt von
unsagbarem Schmerz, der drohte, seinen Verstand zu überwältigen.
Leathan hatte keine Ahnung wo er war und seine Sinne
waren nicht in der Lage, es ihm zu verraten. Es interessierte ihn ohnehin
nicht, dies zu erfahren. Alles was er noch wollte, war es, seinen Qualen zu
entkommen. Unmöglich war es jedoch zu fliehen, etwas fesselte seinen Geist
an seine sterbliche Hülle. Er versuchte, seinen Körper zu ertasten,
um ihn zu töten und seinem Leid ein Ende zu setzen, doch auch hier
versagten seine Kräfte.
Sowohl Geist als auch Körper waren gelähmt,
gefangen in ewig währendem Schmerz. Nein, es würde nicht mehr lange
dauern, bis der Wahn ihm zumindest einen Teil seiner Schmerzen erlassen
würde.
Er hätte schreien wollen, doch sogar das war ihm
verwehrt.
*
Anthalion stand an der Reling des Flaggschiffs, den Blick
auf das schäumende Wasser am Rumpf des Schiffes gerichtet. Der Wind schien
heute auch ohne Anthalions magisches Zutun auf ihrer Seite zu sein, so zog die
Landschaft in atemberaubender Geschwindigkeit an ihnen vorbei und Anthalion
konnte den Versuch wagen, diesen Augenblick zu genießen. Tief atmete er
die Seeluft ein. Er konnte die salzige Gischt schmecken, die langsam den
Geschmack von Looderas Körper ersetzte. Er lächelte, nun da er wieder
an Loodera denken musste.
Sie hatte ihm Körper und Seele geschenkt.
Sie folgte ihm blind und akzeptierte es, dass er alles
zerstörte, woran sie früher geglaubt hatte. Einen so
vollständigen Sieg über einen Menschen hatte er nur selten erfahren,
denn noch nie hatte er sich die Zeit für ein solches Unterfangen genommen.
Ihr Verlust versüßte ihm sein Leben... dennoch fehlte ihm etwas, um
seinen bevorstehenden Sieg in vollen Zügen genießen zu können.
Er brauchte einen Verlierer, dem seine Niederlage auch
bewusst war.
In der Ferne sah Anthalion die Berge sich im
rötlichen Licht der Abenddämmerung abzeichnen. Er war seinem Ziel
nahe. Es war an der Zeit… Noch einmal atmete er die frische Luft ein, ehe er
sich von der Landschaft abwandte, um die Stufen zu Leathans Kerker hinabzugehen.
Im Bauch des Schiffes konnte er das wilde Schaukeln der See fast noch
deutlicher spüren als an Deck. Er liebte dieses schwankende Gefühl
und wusste, er würde es bald vermissen. Bald würde er aufs Festland
zurück müssen, nur um einmal den See der Quelle mit menschlichen
Augen zu sehen. Dann würde dieser verhasste Ort Opfer seines Rachezuges
werden, dann würde die Welt vollkommen sein… Bald schon…
Er öffnete die Tür zum Kerker, den er speziell
für Leathan hatte anfertigen lassen. Jeden Tag führten ihn seine
Schritte zu seinem Feind, doch heute genoss er besonders den Anblick des
geschwächten, nackten Körpers, der reglos in seinen Fesseln hing, nur
dem Schwanken des Wellenganges gehorchend.
Heute war ein besonderer Tag, denn die Wirkung der Drogen
ließ langsam nach und Anthalion wusste, dass Leathan seine Schmerzen
wieder bewusst wahrnahm.
Anthalion lächelte, als er ihn betrachtete.
Feine Nadeln zierten Leathans Körper und blockierten
jede Funktion. Seit Monaten hing er an den Stricken. Seine Schultern waren
längst ausgekugelt und seine Muskeln waren erschlafft. Auch wenn Anthalion
nun jede Nadel hinausziehen würde, wäre Leathan nicht mehr in der
Lage, sich zu bewegen, doch er würde fähig sein, wieder zu sehen, zu
hören und vielleicht sogar zu sprechen.
Anthalion näherte sich dem Körper seines
Feindes. Ein Schauder erfasste ihn, ein Schauder, der von seiner genussvollen
Vorfreude zeugte. Anthalion öffnete seinen Geist und ließ seine
Umgebung auf sich wirken…
Obwohl Leathan wie eine Leiche aussah, war noch immer ein
Hauch von Leben in ihm. Der Raum war spürbar gefüllt von seinem Leid.
Anthalion konnte noch immer nicht in den Geist Leathans eindringen, dennoch
wusste er, dass die Schmerzen das Kind der Quelle sehr bald unwiderruflich dem
Wahn ausliefern würden.
Sorgfältig entfernte er die feinen Nadeln von
Leathans Körper…
Ein leichtes Zucken an der Hautoberfläche seines
Opfers verriet ihm, dass die Taubheit von Leathans Haut allmählich
nachließ. Behutsam strich Anthalion über den geschundenen,
schweißgebadeten Rücken seines einstigen Feindes.
‚Bald Kind… Bald…’, flüsterte er ihm zu, obwohl er
genau wusste, Leathan konnte ihn noch nicht hören.
Die letzte Nadel war in
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