Die Quelle
Menschen befreundet zu sein, die meine Gedanken ständig
erforschen. Sobald dieser Krieg vorüber ist, werde ich entweder eine
Vereinbarung diesbezüglich haben, oder mit meinem Clan fern von Ker-Deijas
leben.“
Offensichtlich hatte Sulidian Verständnis für
Krials Lage. Es würde ihm wahrlich missfallen, dem Nomadenanführer
etwas antun zu müssen. Ethira nickte kaum merklich, als Krial und sie mit
der telepathischen Beratung zu ihrem Schluss kamen. Sulidian schien es bemerkt
zu haben, doch das störte Krial nicht weiter. Der legendäre,
ehemalige Heeresanführer Gowirialis kannte ohnehin mit Sicherheit die
Baseffsitten und wusste daher auch, dass nur Ethira entscheiden konnte, wer als
Feind und wer als Freund zu betrachten war.
„Das Volk der Wächter ist ein ehrenvolles Volk. Sie
werden deine Gedanken sicherlich nicht erforschen, wenn du ihnen das Recht dazu
verwehrst. Versuchen wir es doch einfach mit Vertrauen, falls es dir
überhaupt möglich ist, einem Baseff zu trauen.“
Krial wusste um ihre schlechte Reputation, die
tatsächlich nicht unbegründet war, doch Sulidian nickte ernst und ihr
Gespräch wandelte sich.
„Gut, Baseffkrieger. Dann lass uns das weitere Vorgehen
planen.“
Krial brauchte nicht lang, um die gesamte Lage zu
erläutern, doch sein Wissensstand war nicht mehr aktuell. Er konnte nur sagen,
was am See der Quelle hätte passieren müssen, doch es war
offensichtlich, dass der dortige Verlauf des Krieges nicht der erhoffte war.
Sie sprachen die verschiedenen Möglichkeiten durch, ehe sich Sulidian auf
den Weg zum Westtor der Stadt machte. Als Krial ihm hinterhersah, wurde er
nachdenklich und plötzlich musste er über sich selbst lächeln.
Noch nie war es ihm passiert, dass er die Entscheidungsgewalt abgegeben hatte,
ohne sich zu wehren. Soeben hatte er die Entscheidungsgewalt an Sulidian
abgegeben, ohne es überhaupt zu bemerken. Es fühlte sich dennoch
richtig an.
*
Mehana kniete neben Ruvin. Der Körper des jungen
Kriegers lag bewusstlos auf einer Matte, der Verband an seiner Schulter war
blutgetränkt. Obwohl Mehana keine Heilerin war, wusste sie, dass dies das
letzte Mal sein würde, dass sie Ruvin zu Gesicht bekommen würde.
Midriek, Sulidians Heiler, war an der Seite anderer Verletzter, denn es gab
nichts mehr, was er für Ruvin hätte tun können. Der alte Sulimar
war bei Ruvin geblieben. Es schien ihm nahe zu gehen, noch eines seiner vielen
Ziehkinder zu verlieren. Seine alten Augen wirkten matt.
„Mehana, seine Zeit ist bereits gekommen. Sein
Körper scheint zwar noch zu leben, doch sein Geist hat sich bereits von
ihm gelöst. Geh deinen Weg, hier kannst du nichts mehr tun.“
Mehana sah sich um. Ohne Magie war es schwer, den
sterbenden Geist Ruvins zu finden, doch sie spürte, er war noch in der
Nähe. Er wartete anscheinend darauf, sich endgültig von seinem
Körper verabschieden zu können. Sie sandte ihm eine letzte
telepathische Botschaft.
‚Ruvin, ich danke dir für deine Hilfe. Ich hoffe
sehr, dich in einem anderen Leben wieder zu treffen. Geh in Frieden und mit der
Gewissheit, deinem Volk gut gedient zu haben.’
Sulimar seufzte enttäuscht, als Mehana den Raum
verließ. Ihre Worte spiegelten den Versuch wider, etwas Warmherziges zu
sagen, dennoch war sie offensichtlich nur bedingt dazu fähig. Zu viele
Jahre hatte das Volk der Wächter Gefühllosigkeit als eine Tugend
erachtet. Mehanas Trauer war ein allgemeines Gefühl, geprägt von
einem abstrakten Gedanken. Sie trauerte gleichermaßen um den Tod der
Feinde wie um den der Freunde. Er seufzte erneut, doch sein Herz lastete schwer
auf ihm. Auch Mehana hatte er groß gezogen, doch erst jetzt wurde ihm
bewusst, wie viele Irrwege er gelehrt hatte. Sulimar seufzte wieder, als
wäre dies die einzige Möglichkeit, die er hatte, um genug Sauerstoff
zu bekommen. Der alte Mann hatte heute viele seiner Kinder verloren, mehr als
sein Herz bereit war, zu verkraften.
Leise Tränen bahnten sich einen Weg entlang seiner
vom Alter gezeichneten Wangen. Tränen, die sonst kaum jemand in Ker-Deijas
zu weinen vermochte, Tränen als Zeichen seiner wiederaufkeimenden
Menschlichkeit. Er legte sich erschöpft neben Ruvins Körper, der
seine letzten Atemzüge aushauchte. Sulimar spürte, wie sein
gebrochenes Herz sich langsam dem Herzschlag Ruvins anpasste.
Fast gleichzeitig leerten sich ihre Lungen zum letzten
Mal.
Beiden fiel der Abschied von ihrem Leben schwer und sie
verharrten noch einige Augenblicke in der letzten Nacht,
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