Die Quelle
gleichmäßigen Atem in ihrem Nacken zu
spüren. Der Versuchung in den Schlaf zurückzusinken widerstand sie,
wohl wissend, dass sie ihr Unterbewusstsein nur im Wachzustand zum Schweigen
bringen konnte. Sie öffnete die Augen und setzte sich auf.
Im blassen Mondschein blickte sie über die
Bäume hinweg, wo in der Ferne das Meer seine Geheimnisse für sich
behielt. Sie ließ ihren Gedanken freien Lauf und versuchte die
Geschehnisse des Vortages gefühlsbefreit noch einmal Revue passieren zu
lassen. Die Suche nach Kegalsik war erfolglos geblieben, was ihr
größtes Problem darstellte. So lange der Kriegergott Anthalion
unterstützte und vielleicht sogar zu mehr Gewalttaten anstachelte, war der
Krieg nicht vorüber. Wo hatte er sich verkriechen können?
Stella suchte nicht nach ihm, das hatte sie gemeinsam mit
Balderia und Iridien bereits am Vortag vergebens versucht. Ihre Gedanken
streiften den Horizont. So schön war diese zerbrechliche Welt, die sie
versuchte zu schützen. Sie atmete die nächtliche Luft tief ein,
genoss den wilden Geruch des Waldes. So viel Leben steckte in den Pflanzen, im
Boden und in den Tieren… Ein Reich aus der Quelle geboren! Ein komplexes
Gebilde aus reiner Energie entstanden, so schön, dass es sie
plötzlich schmerzte, an dessen Vergänglichkeit zu denken. So viele
Welten wurden geboren, nur um wieder zu verschwinden, doch keine hatte sie von
so nahem betrachtet, keine hatte sie sowohl als Kind der Quelle als auch als
Sterbliche erlebt.
Langsam ließ sie ihre Gedanken mit ihrer Umgebung
verschmelzen. Langsam spürte sie die Energie der Quelle, die kaum merklich
der Materie Leben schenkte. Vorsichtig zog Stella etwas Energie in sich hinein.
Sie konnte spüren, wie jede Zelle ihres Körpers mit der Welt ihren
Atem teilte und langsam Teil des Ganzen wurde. Die endlose Macht der Quelle
nährte sie und gewährte ihr neue Kraft. Als Stella aus ihrer Trance
trat, lag die Sonne bereits im Erwachen und spendete erste Lichtstrahlen. Sie
spürte, wie ihr Rücken von der Sonne gewärmt wurde und versuchte
diese letzten Augenblicke des Friedens zu genießen. Ein neuer Tag barg
neue Herausforderungen und obwohl sie nun wieder gestärkt war, war sie
sich nicht sicher, ihnen gewachsen zu sein.
Sie drehte sich um und ihr Blick traf den des
Königs. Er lag noch, offensichtlich war er gerade erwacht. Liebevoll lächelte
er sie an, ehe er sich aufsetzte, um sie zu umarmen. Ohne Worte verharrten sie
eng umschlungen, ihre Gefühle ineinander verstrickt… Ein kurzer Augenblick
der Vollkommenheit, als gäbe es nur sie beide. Langsam löste sich der
König aus der Umarmung und sah Stella an. Sanft streifte er ihre Lippen
mit einem Kuss und stand auf.
„Komm.“
Stella zögerte, denn plötzlich bemerkte sie
eine Unebenheit in seiner Gefühlswelt, die ihr zuvor nie aufgefallen war.
Etwas in ihm hatte sich gewandelt, kaum merklich, doch neu und fremd. Sie
folgte ihm die Leiter hinunter, doch die friedlichen Weiten waren bereits
vergessen, denn die Vision, die sie so lange versucht hatte von sich zu weisen,
erfüllte ihr Wesen.
*
Kaum hatten sie Fuß auf den Boden gesetzt, bemerkte
sie wie Galtiria, die offensichtlich Wache hielt, sie hoffnungsvoll ansah. Sie
wirkte erschöpft. Ihren Gedanken konnte Stella entnehmen, dass sie die
gesamte Nacht an Esseldans Krankenbett verbracht hatte. Trotz ihrer Anspannung
fand die Kriegerin ein freundliches Lächeln, um Stella zu
begrüßen.
„Galtiria, ich bin gleich bei euch.“, versicherte Stella
ihr und Erleicherung zeichnete sich auf Galtirias Gesicht ab.
Stella hatte viele Entscheidungen zu treffen, die erste
davon war bereits gefällt. Wenn sie schon die Nähe der Sterblichen
gesucht hatte, würde sie sich nun auch ihrer Handlungs-und Denkweise
weiter nähern. Das Lager erstreckte sich vor ihren Augen und sie bemerkte,
dass die Krieger von Sihldans Clan etwas abseits ein eigenes Feuer
angezündet hatten. Sihldan saß in einer Runde mit seinen engsten
Vertrauten, die meisten unter ihnen waren die Krieger, die Stella während
der Turniertage begleitet hatte.
Während König Leathan sich zu seinem Volk
gesellte, trennte sich Stella von ihm und ging auf ihren Freund zu. Sihldan
begrüßte sie mit einem breiten Lächeln und rückte zur
Seite, um ihr einen Platz in der Runde anzubieten. Dankbar immer noch
willkommen zu sein, setzte sie sich zu ihm, doch die Krieger schwiegen
plötzlich, als würden sie nicht mehr wissen, wie sie sich in ihrer
Anwesenheit verhalten
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